Einkehr zum toedlichen Frieden
Lachtränen
weg. »Wie du dich im Melkstand bewegst!«
»Du hast doch selbst gesagt, dass es gar nicht so schwer ist!«,
protestiere ich und erzähle ihr nicht, wie ich mich soeben im Melkstall bewegt
habe. Es war ein Anschlag, und das wird mir Hein auch nicht ausreden können.
Aber jetzt kann ich nicht riskieren, dass die Kühe darunter leiden müssen,
sollte Gudrun plötzlich Bedenken kriegen, in die Beinahe-Mördergrube zu
steigen.
Während sie mit Hein die Euter mit der Augenlicht rettenden Dusche
abbraust und die Melkbecher, so heißen die Zylinder, wie ich jetzt erfahre, an
den Zitzen befestigt, bleibe ich auf der Plattform stehen und lasse beide nicht
aus den Augen.
Wohin sich Fine verzogen hat, weiß ich immer noch nicht. Vermutlich
ins Haus, um dieser migränefördernden Atmosphäre zu entkommen.
Radio, Dusche und Kühe machen Lärm, Hein und Gudrun schreien sich
Rufe zu, die ungemolkenen Viecher strömen muhend auf die Plattform, die
abgefertigten kehren in den Stall zurück. Irgendwie sieht alles sehr chaotisch
aus. Ich stehe nahe der Leiter, habe Zeit zum Denken und staune, dass bis auf
ein kleines Jucken meine Augen wieder schmerzfrei sind.
Irgendjemand ist auf die Decke des Melkstandes geklettert, hat ein
Brett verschoben und mir diese Laugendusche verpasst. War es doch Hein gewesen,
der von seiner Mutter überrascht wurde und dem dann nichts übrig blieb, als
mich zu retten? Oder hat mir Fine nach dem Leben getrachtet? Weshalb sollte
sie? Bestimmt nicht, weil ihr Mann Alf meinem Großvater vor vierzig Jahren den
Lebensmittelladen abgenommen hat.
Für zwei der drei früheren Morde fallen mir aber durchaus mögliche
Tatmotive für Fine ein. Sie hat Werner Arndt zutiefst verabscheut. Und es
dürfte auch einer so zierlichen Person wie ihr nicht schwergefallen sein, dem
Tattergreis einen Schlag zu versetzen und ihn dann in den Wolfgangsee zu
schubsen. Ihren Mann könnte sie umgebracht haben, weil sie glaubte, er ginge
ihr mit Gudrun fremd, wenn ich das auf Platt geführte Gespräch hinter der
Küchentür richtig verstanden habe. Und weil sie die unerfreuliche Ehe mit ihm
sowieso satt und keine Geduld mehr fürs langsame Vergiften hatte. Jedes Kind
kann einem Einbeinigen die Prothese wegschlagen. Aber wieso sollte sie ihn
ausgerechnet im Sägewerk erledigt haben? Wäre das nicht zu gefährlich gewesen,
mit ihm den weiten Weg dorthin zu gehen? Irgendjemand hätte sie doch sehen
können.
Dann fällt mir ein, dass Hein und ich auf unserem Spaziergang
entlang der Höckerlinie keinem einzigen Menschen begegnet sind. Wir sind an
keinem Hof oder Gebäude vorbeigekommen, nur an Windrädern, waren durch die
Waldlinie dem Blick von der Bundesstraße entzogen und hätten den ganzen Weg
splitterfasernackt laufen können, ohne Anstoß zu erregen. Nicht dass ich diese
Vorstellung sonderlich reizvoll finde. Aber ich halte mich jetzt in einem
extrem dünn besiedelten Gebiet auf – da hätte Fine einen solchen Gang durchaus
riskieren können.
Aber warum war Gerd das erste Opfer? Was hatte mein Ex-Bruder mit
ihr zu tun? Ein Motiv kommt mir nicht in den Sinn, wohl aber die Tatsache, dass
sie als Putzfrau der Krippana die Möglichkeit gehabt hat, ihn ins Jenseits zu
verfrachten.
Ich stelle es mir so vor: Er liegt benommen auf dem Krippenboden,
nachdem ich ihn über das Geländer befördert und er sich den Kopf an der
Milchkanne gestoßen hat. Fine, die noch in der Krippana putzt, hört unsere
Auseinandersetzung und sieht mich davonlaufen. Aus irgendeinem mir noch nicht
erklärlichen Grund will sie ihren Nachbarn beiseiteschaffen und sieht ihre
Stunde gekommen. Mit einer gehörigen Portion Wut im Bauch und einem
herumliegenden Faustkeil …
Und da dämmert es mir. Den riesigen Bergkristall in der Krippe habe
ich ja auch erst als Eisbrocken identifiziert! Hein hatte keinen Eiszapfen in
der Hand, sondern einen Bergkristall. Einen faustkeilartig geformten
Bergkristall! Von denen es unzählige in der Krippana zu kaufen gibt.
Mit diesem schlägt sie dann zu. Genau wie sie es bei mir auch
geplant hat, nachdem sie mich außer Gefecht gesetzt hat und vom Melkstand-Dach
hinabgestiegen ist. Hein kommt hinzu, entreißt seiner Mutter den Bergkristall
und rettet mir Augenlicht und Leben.
Gerd hatte nicht so viel Glück.
Die belgische Polizei mag zwar computermäßig hinter dem Mond leben,
aber die Forensiker in Eupen hat Fine nicht täuschen können: Der große
Bergkristall ist mit Gerds Blut nachträglich präpariert worden,
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