Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einkehr zum toedlichen Frieden

Einkehr zum toedlichen Frieden

Titel: Einkehr zum toedlichen Frieden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martina Kempff
Vom Netzwerk:
Amtsgericht, wo die Grundbücher
verwaltet werden, ist immer noch geschlossen. Woher hat dieser Mann eine
Information, die Fine offensichtlich nicht unbekannt ist, da ihr bei seiner
kleinen Ansprache die Röte ins Gesicht schießt.
    Hein hingegen ist ganz blass geworden und starrt seine Mutter
entgeistert an.
    »Dat da ist schuld!«, brüllt Fine, schmeißt die Kompresse in eine
Ecke und deutet mit zittrigem Finger auf mich. »Wenn dat nicht jekommen wäre,
hätten wir alle in Frieden weiterleben können. Ohne Männer, die zu nichts nutze
sind! Und die niemandem fehlen!«
    Recht hat sie, denke ich. Nach allem, was ich über diese Männer
erfahren habe, ist die Kehr ohne sie besser dran. Aber hätte man sie gleich
ermorden müssen? Mir fährt ein Schauer über den Rücken. Diese Bemerkung habe
ich in meiner Jugend schon von ganz anderen Leuten in einem ganz anderen und
erheblich historischeren Zusammenhang gehört. Von solchen Leuten, die über
andere Menschen genauso dachten wie ich gerade, habe ich mich mein Leben lang
distanziert.
    Fine setzt sich auf, stellt die Beine fein ordentlich nebeneinander
und sieht die drei anderen Hilfe suchend an. »Es sind doch immer die Fremden,
die Unruhe ins Dorf bringen! Die sich einmischen und alles
durcheinanderbringen! Ganz gleich, ob sie nun aus Hamburg oder Berlin kommen!
Marcel, wir hier, wir jehören doch alle zusammen. Du hast mir damals mit deinem
Hund den Kaffee gebracht, und ich habe dir unser schönes Schwarzbrot auf den
Schlitten jeladen. Weißt du noch, wie wir zusammen das Zöllnerhäuschen
abjefackelt haben?«
    Sie deutet auf ihren Unterarm. »Und du hast danach mit mir
Blutsbruderschaft jetrunken, wenn du jenau hinguckst, siehst du vielleicht noch
den Schnitt. Das soll alles nichts bedeuten?«
    Der unglückliche Blick, den mir der Polizeiinspektor zuwirft,
entschädigt mich für vieles.
    »Ich war ein Kind«, murmelt er, »und hatte gerade Winnetou gelesen.«
    »Winnetou ist ein Christ«, höre ich mich zitieren. »Die Stelle ist
auch in meinem Buch von all den Tränen ganz wellig, obwohl ich nie eine
Christin war.«
    »Da hast du es!«, fährt Fine auf. »Sie sagt es selbst. Ist keine ehrliche
Christin! Eine Heidin, eine Ungläubige. Und mit so einer verbündest du dich?
Marcel! Du verrätst alles, was dir heilig war! Du verrätst unseren Herrn! Für
eine fette Frau. Ich schäme mich für dich.«
    »Mutter«, wirft Hein leise ein und sagt zu uns gewandt: »Sie weiß
nicht, was sie sagt. Der Tod meines Vaters hat sie völlig aus der Bahn
geworfen. Schaut sie doch an: So jemand kann doch niemanden ermorden.«
    Gudrun sagt gar nichts, starrt von einem zum anderen. Die Frau, die
immer alles unter Kontrolle haben will, hat an den ganzen Dramen vor ihrer Nase
vorbeigelebt. Vielleicht, weil sie zu sehr damit beschäftigt war, ihre eigene
Position zu verteidigen. Und sich Alf vom Leibe zu halten.
    »Sag doch auch was!«, schreit Fine sie jetzt an. »Sonst nimmst du doch
immer das Maul so voll! Mein Vater hat mir zumindest einen Hof mitjegeben,
deiner hat alles mit den Weibern durchgebracht! Und er hat … jetzt hör jut zu,
Marcel, denn dat ist wichtig … seine eigene Schwester, dat Maria, damals in den
Bunker jeschubst. Dat kann die Anna Klein, Katjas Mutter, bezeugen. Wir haben
es beide mit unseren eigenen Augen jesehen!«
    Sie atmet tief aus und lehnt sich befriedigt zurück.
    »Der Werner ist tot«, sagt Marcel Langer müde.
    »Und meine Mutter auch«, setze ich hinzu. Jetzt verstehe ich alles.
Fast alles.
    »Warum?«, frage ich leise. »Warum habt ihr sie dann so lange da
liegen lassen, dass ihr ein Tier die Hand abfressen konnte?«
    »Sie war tot«, antwortet Fine. »Hätte nur Scherereien für uns
gegeben. Und du wärst im Jefängnis geboren worden! Wo du hinjehörst! Dat Anna
hat sich einfach aus dem Staub gemacht, mir den janzen Dreck hinterlassen und
ist verschwunden. Verschwunden!«, bellt sie mich an.
    Ich denke daran, wie fremd mir meine Mutter in den letzten sieben
Tagen geworden ist. In denen ich Lage um Lage ihrer Geschichte abgehoben, ihrer
Vergangenheit aufgedeckt habe. Von dem, was sie erlebt, was sie geprägt hatte,
wusste ich gar nichts. Aber ich habe den Menschen Anna Klein fast ein halbes
Jahrhundert lang gekannt. Und diesem Menschen bedeutete Verantwortung viel.
    »Sie hat dir ein Versprechen abgenommen«, verlege ich mich wieder
aufs Bluffen, »dass du dich um ihre Mutter kümmerst.«
    »Erpresst hat sie mich!«, schäumt Fine.
    »Womit?«, fragt

Weitere Kostenlose Bücher