Einkehr zum toedlichen Frieden
um eine falsche
Spur zu legen. Mit einem großen Putzlumpen hätte sie ihn mühelos aus dem
Verkaufsraum bis zur Krippe ziehen können. Eine perfekte Hausfrau wie Fine
weiß, wie man anschließend ordentlich nachwischt, damit keine Schleifspuren
mehr auszumachen sind.
Alles passt. Es wird Zeit, Marcel Langer anzurufen.
»Hein«, rufe ich in die Melkgrube, »hast du einen Laptop dabei?«
»Nicht hier im Stall.«
»Im Haus?«
»Natürlich! Ohne das Ding könnte ich gleich zumachen! Warum?«
»Kannst du nach dem Melken mit ihm zu mir rüberkommen?«
»Warum?«
»Sage ich dir dann. Bring deine Mutter mit. Und Gudrun.«
»Meine Mutter ist k.o.«
Noch nicht, denke ich gallig, aber das kriegen wir auch noch hin.
»Bitte, Hein, ich brauche sie. Es ist ganz wichtig!«
»Meine Mutter und mein Laptop«, schreit er, während er einer Kuh auf
den Hintern klopft, »eine noch nie da gewesene Kombination.«
Er verlässt die Tankstelle, an der er gerade arbeitet, kommt zu mir
auf die Plattform, packt mich am Arm und fleht mich heiser an: »Tu’s nicht,
Katja. Bitte! Sag Marcel nichts!«
Traurigere Augen habe ich noch nie im Leben gesehen. Ich versuche,
meinen den gleichen Ausdruck zu verleihen. Es fällt mir sehr schwer, den
aufsprudelnden Triumph zu verbergen.
»Es geht nicht anders, Hein. Es muss aufhören.«
»Und was passiert dann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Katja, ich werde meine Mutter nicht ausliefern.«
»Bin ich denn die Polizei?«
»Du wirst Marcel anrufen.«
Ich kann diese Augen nicht belügen.
»Ja.«
»Hein!«, brüllt Gudrun, »komm sofort her, oder ich kündige noch
mal!«
Er zuckt mit den Schultern und dreht sich um.
»Sag mir nur schnell, warum!«, rufe ich verzweifelt.
Er wendet sich mir wieder zu.
»Keine Ahnung«, sagt er. »Mein Vater muss sie verrückt gemacht
haben. Er war ein Riesenarschloch. Wie Gerd und Werner auch.«
Er streicht sich durch die frisch gefärbten Haare, bis sie wie
Igelstacheln hochstehen.
»Ganz gleich, was passiert, Katja, ich werde nicht gegen sie
aussagen. Sie ist meine Mutter und hat ein Recht auf meinen Schutz. Das, was
vorhin hier vorgefallen ist, habe ich gänzlich von meiner Festplatte gelöscht.«
Und dann geht es nur noch um die Kühe.
Ich verlasse den Stall, rufe Marcel Langer an und erzähle ihm auf
dem Weg zu meinem Haus alles. Aus den Augenwinkeln sehe ich das Mädchen Nicole
mit Linus durch das Gelände toben und wünsche mir in meinem Leben die Ordnung
eines Ameisenhaufens.
Drei Stunden später
Wir sitzen in meinem Wohnzimmer, wo immer noch das
Eichenbuffet steht, das ich Fine versprochen habe. Hein hat es tatsächlich
geschafft, seine Mutter über die Straße nach Belgien zu bringen. Ich vermute,
auch er hält die Qual der Ungewissheit nicht mehr aus, will das Warum endlich
wissen. Fine liegt auf dem Sofa, wo Marcel Langer eine Nacht verbracht hat, und
drückt sich die kalte Kompresse, die ich mir auf die Augen hatte legen wollen,
auf die Stirn.
»Tuppen«, sagt Marcel Langer hart und legt ein DIN-A4-Blatt auf den Tisch. Ein fotografiertes
Schriftstück ist zu erkennen, das durch Gerds hochauflösenden Scanner lesbar
geworden ist. Ein Schuldschein.
»Alf Mertes überschreibt seinen Hof an Gerd Christensen. Werner
Arndt unterschreibt als Zeuge«, sagt Langer. »Der Alf hat euren Hof aufs Spiel
gesetzt und verloren, Fine. Gerd hätte euch jederzeit rausschmeißen können!
Dein Alf hat euren gesamten Grund und Boden mit allem Drum und Dran verzockt.«
»So, wie er den Hof gekriegt hat«, flüstere ich.
»Das stimmt nicht«, protestiert Gudrun, »Fine hat ihn doch mit in
die Ehe gebracht.«
»Genau!«, ruft Fine empört. »Das war meine Mitgift! Wie kannst du
mir nur unterstellen …«
»Sie unterstellt nichts«, sagt der Polizeiinspektor ruhig. »Die
Katja hat völlig recht. Der Alf hat damals ihrem Großvater auf die gleiche
Weise, nämlich beim Karten, den Lebensmittelladen abgenommen, zu Geld gemacht
hat; Geld, mit dem sich Fines Vater als reichen Mann feiern ließ, der seine
Tochter scheinbar mit einem neuen Hof ordentlich ausstatte. Das Gemauschel mit
den Papieren muss recht abenteuerlich gewesen sein. Schließlich konnte man
nicht eintragen lassen, dass der Herr Klein seinen Laden beim Tuppen an Herrn
Mertes verloren hat. Da wurde geschwind ein Strohmann aufgetrieben, der die
offizielle ›Kaufsumme‹ deinem Vater, Fine, – dem ehrenwerten Herrn Schmitz aus
Losheim – ausgehändigt hat.«
Ich schaue auf meine Uhr. Das
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