Einkehr zum toedlichen Frieden
nähert sich staksig dem Gitter und lässt sich verpennt von mir den
Kopf kraulen. Keine Auszeichnung hätte mich glücklicher machen können.
Wenigstens dieser Tag fängt gut an.
Im Kuhstall, wo ununterbrochen das Radio plärrt – »Kühe lieben
Musik«, hat mir Gudrun erzählt – laufen gerade die Verkehrsmeldungen. Was
bedeutet, dass ich fünf Minuten zu spät dran bin. Aber immerhin noch vor Fine,
wie ich befriedigt feststelle, als ich in die leere Melkgrube blicke.
Ich steige über eine kleine Metallleiter hinunter und mustere
sechzehn Geräte, die wie Zapfsäulen aussehen, an denen je vier Schläuche
hängen.
Diese münden in jeweils einen Metallzylinder, der auf einer Art
Kerze feststeckt und offensichtlich für die Kuhzitze gedacht ist. Etwas
ängstlich schaue ich auf die anderthalb Meter höhere Plattform, auf der sich zu
beiden Seiten der mit einem Gummibelag ausgestatteten Grube gleich die massigen
Körper drängen werden, die sich bereits hinter dem Gatter laut muhend
aneinanderreiben. Ich kann also rückenschonend an die Euter herankommen, frage
mich aber, was von oben alles an mich herankommen wird.
Genau in diesem Augenblick höre ich ein Gepolter direkt über mir.
Ich schaue hoch und kann gerade noch erkennen, dass ein Brett der Holzdecke wie
von Zauberhand geleitet zur Seite rutscht.
Was dann auf mich herabrauscht, stammt von keiner Kuh. Der Schwall
kalter Flüssigkeit trifft mich voll auf den Kopf. Ich huste, spucke und reibe
mir die Augen, die teuflisch zu brennen anfangen.
»Hilfe!«, schreie ich, »Hilfe!«
Ich muss an Wasser heran, mir die Augen ausspülen! Ich kann sie
nicht länger offen halten! Oh, wie das Zeug beißt! Ich will mich zur Leiter
vortasten, stürze auf den schwarzen Gummiboden, habe völlig die Orientierung
verloren, reibe mir die Augen und schreie aus vollem Hals.
»Fine!«
Das Teufelszeug frisst sich in meine Netzhaut. Ich habe entsetzliche
Angst, auf der Stelle zu erblinden, taste verzweifelt herum. Endlich, endlich
spüre ich sie, die kleine Metallleiter. Ich versuche mich an ihr hochzuziehen.
Ein Besenstiel oder so etwas wird mir zwischen die Brüste gerammt. Ich stürze
zurück in die Grube.
Nicht nur ich. Irgendjemand landet neben mir. Ist
heruntergesprungen. Oder geschubst worden. Geschubst. Zwei Leute brüllen. Verzweifelt reiße ich die Augen auf, kann sie aber nur
einen Moment offen halten. Lang genug, um zu sehen, dass Fine wimmernd neben
mir liegt und der feuerhaarige Hein auf der Leiter steht. Mit verzerrtem
Gesicht und einem schimmernden Eiszapfen in der hoch erhobenen Hand.
Ich kneife die brennenden Augen wieder zu, packe Fine, halte das
dünne Geschöpf wie einen Schutzschild vor mich und ziehe sie mit mir nach
hinten in die Grube.
Adrenalin rast durch meinen Körper, betäubt den entsetzlichen
Schmerz in den Augen und den brutalen Druck auf der Brust. Ich kämpfe um mein
Leben! Blicklos, denn meine Augen sind zu Fremdkörpern geworden. Mit einem Arm
halte ich die jammernde Fine fest; mit der anderen Hand reiße ich einen Melkzylinder
von seiner Kerze und richte ihn wie eine Pistole dahin, wo ich Hein vermute.
Als könnte die Milch den umgekehrten Weg herausschießen und Hein durch einen
scharfen Strahl entwaffnen.
Fine verfällt vom Wimmern wieder ins Schreien: »Sie bringt mich um,
sie bringt mich um!«
Ich zwinge mich zu einem Blinzeln. Mit einem Riesensatz springt Hein
in die Grube, greift nach einem von der Decke herabhängenden Schlauch, richtet
das pistolenartige Ende auf mich und befiehlt: »Mach die Augen sofort auf,
Katja!«
Ich zerre an meinem Melkschlauch, nicht bereit, mich von Hein
weiterquälen zu lassen.
Ein sanfter Strahl klaren reinen Wassers perlt über mein Gesicht.
»Augen aufhalten und nicht bewegen«, drängt Hein. »Sonst bist du
gleich blind. Und zwar für immer. Mensch, Katja, ich tu dir nichts, ich will
dir doch helfen! Augen auf, verdammt noch mal!«
Ich habe keine Wahl, lasse ihn meinen Kopf in die Hand nehmen und
bekomme die intensivste Augendusche meines Lebens verpasst. Das Brennen lässt
sofort nach. Ach, tut das gut!
Wo ist der Eiszapfen? Habe ich halluziniert? Warum will er mich erst
umbringen und rettet mir dann das Augenlicht?
Ich habe Fine losgelassen. Sie ist verschwunden. Ich weiß nicht,
wohin, und es interessiert mich nicht die Bohne.
Always Look on the Bright Side of Life …
Welcher Idiot ruft mich zu so früher Stunde an? Ich kann sowieso
nicht zu dem Handy in meiner Hosentasche greifen, lass
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