Einkehr zum toedlichen Frieden
ist so geschickt platziert, dass
das Wasser bei einem Regenguss umgeleitet würde.
»Wo hast du diesen Stein her?«, frage ich Nicole.
»Vorhin beim Stall gefunden«, erklärt sie glücklich. »Ist er nicht
schön? Wie vom Himmel geschenkt.«
»Das ist er auch«, sagt Gudrun ernst. »Und wegen der Geschöpfe im
Himmel müssen wir ihn dahin bringen, wo er noch dringender gebraucht wird,
Nicole.«
Sie hebt den Stein auf und reicht ihn mir.
»Und ich baue jetzt mit dir einen richtigen Steinwall, der dein Volk
für alle Zeit vor dem bösen Regen schützt. Bist du einverstanden?«
Ich sehe das Bedauern im Gesicht des Kindes, als ich den schön
glitzernden Stein von Gudrun entgegennehme. Ich sehe aber auch ein einsames
Kind, das sich als Spielkameraden Ameisen erwählt hat und jetzt dankbar für
eine Erwachsene ist, die ihr Faible teilt.
»Glaubst du«, höre ich sie fragen, als ich allein den Weg zurück
antrete, »dass die Ameisen von meinem alten Volk noch manchmal an ihre vielen
Toten denken?«
»Ganz bestimmt.« Gudruns Stimme ist schon fast verweht, aber ich
verstehe noch: »Sie gedenken ihrer Toten und verzeihen denen, die ihnen unrecht
getan haben.«
Abends
Alles ist vorbei. Fine sitzt in Untersuchungshaft, und ich
sitze mit Gudrun, Jupp, Hein und Marcel in ihrer Küche auf
nordrhein-westfälischem Gebiet.
Wir kommen uns vor wie Überlebende nach einem langen Krieg. Und
dabei ist es erst eine Woche her, dass ich Gerd über das Geländer geschubst und
damit auf der Kehr einen Tsunami ausgelöst habe. Inzwischen weiß ich, dass Fine
mich tatsächlich dabei beobachtet und – in ihrem Sinn – die Gunst der Stunde
genutzt und den benommenen Gerd mit dem kleinen faustkeilartigen Bergkristall
erschlagen hat.
»Wann fährst du zurück nach Berlin?«, fragt mich Hein, nachdem er
den Eintopf gelobt hat, den ich aus dem Rest von Fines Rindfleischbraten,
Süßkartoffeln und den Kräutern in meinem verwahrlosten Gemüsegarten gemacht
habe.
Berlin? Das liegt auf einem anderen Stern. Aber ich habe da eine
Mietwohnung, die wohl inzwischen wieder zugänglich ist. Und einen
Lebensmittelpunkt, dessen Inhalt mittlerweile ziemlich gammelig sein dürfte.
Vielleicht auch nicht. Ich war ja nur eine Woche weg. Unglaublich.
»Spielschulden sind Ehrenschulden«, fährt Hein leise fort. »Dieses
Haus gehört jetzt dir.«
»Sag mal, spinnst du?«, fahre ich auf.
»Er hat recht«, sagt Jupp.
»Und meins auch«, meldet sich Gudrun mit ihrer wohlklingenden
Stimme.
»Das gehört doch der Bank«, sage ich verärgert.
»Nein«, mischt sich Marcel Langer ein. »Wieder so ein Gemauschel.
Die Bank ist nur der Makler. Auch Werners Vermögen gehört Gerd. Der hat deinen
Vater erpresst, Gudrun. Das haben wir inzwischen herausgefunden.«
»Wegen der Weiber?«, frage ich ungläubig.
»Nein. Viel schlimmer«, sagt er, schaut Gudrun und mich an und
schiebt ein »Entschuldigung« hinterher.
»Der Werner hat im Krieg eine Reihe von Juden den Nazis
ausgeliefert. Leute, die sich verzweifelt an ihn wandten, damit er sie über die
Grenze in Sicherheit bringt. Wenn sie nicht so viel zahlen konnten, wie die
Nazis für ihre Ergreifung ausgesetzt hatten, verriet er sie. Und hat mit dem
Geld seinen Hof ausgebaut. Tut mir leid, Gudrun. Der Gerd ist dahintergekommen.
Ihr wisst ja, wie schlau der war, wenn es darum ging, etwas über andere
herauszufinden. Das war nicht nur sein Beruf, sondern geradezu seine Berufung.«
Ich nicke, denke mit gewisser Bewunderung daran, wie gut Gerd über
meine Lage informiert war. Er hätte einen brillanten investigativen Reporter
abgegeben.
»Und er kannte die Namen der noch lebenden Nachfahren«, fährt Langer
fort. »Er hat Werner angedroht, ihn wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit
anzuzeigen. Und hat sich dann sein Schweigen sehr teuer bezahlen lassen.«
»Blutgeld«, sage ich entsetzt. »Um Gottes willen.«
»Genau.«
Ein fürchterlicheres Erbe kann ich mir nicht vorstellen.
Wiedergutmachen kann ich nichts. Aber herausfinden, wer diese Nachfahren sind,
und ihnen zumindest ihr Eigentum zurückgeben. Mein Gott, ich bin ja jetzt
reich. Wie furchtbar!
Ich kann nicht einfach so nach Berlin zurückkehren, irgendein Leben
aufnehmen, das Geld der Juden, das zweifach erpresst wurde, verbraten und so
tun, als hätte ich mit all dem nichts zu tun. Weil es mit mir nichts zu tun
hat.
Hat es aber doch. Und mit Gudrun. Gerd war ihr Bruder, wenn auch nicht auf dem Papier – aber hätte sie nicht eigentlich ein
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