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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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den nächsten, bis hin zur Schlachtreife.
    Derweil reiste Casaroli, »eine der schlimmsten Figuren des zwanzigsten Jahrhunderts« (Franz Sales), in der Weltgeschichte herum. - Aber ich hätte Franz Sales filmen wollen, wie er sich vor Casaroli - schon von ferne - verneigte und verbeugte und verbeugen musste, laut Hofzeremoniell, und verbog: Einen Haltungsschaden hatte Franz Sales auch noch. Er konnte gar nicht mehr aufrecht stehen, das kam bei ihm nicht nur vom vielen Essen. Es kam auch von den Verbeugungen. Gewiss war er auch zu dick, um aufrecht hinzustehen und sich ohne Verrenkungen zu verbeugen, und dennoch musste er sich immer wieder verbeugen, auch vor Casaroli, denn er war noch nicht ganz oben, war nur im Rang eines Bischofs, aber kein residierender, nur Titular- einer längst verwaisten Diözese am Sahararand. Franz Sales, der bei seinen Verbeugungen gar nicht beachtet wurde und dieses Nicht-beachtet-Werden auch nicht sah oder sehen konnte, da er, nach unten gekrümmt, nur seine Bauchbinde und sein Schuhwerk sehen konnte - oder lieber gleich die Augen schloss -, Franz Sales verbeugte sich immer wieder, schnaufend und schnaubend. Das gehörte zum römischen Verbeugungsritus, der noch aus dem altpersischen oder altägyptischen Hofzeremoniell stammte. (Der römische Ritus war ja ein Gemisch aus altrömischem, altpersischem, ja altchinesischem Zeremoniell.) Der eine musste sich zwar verbeugen, der andere durfte aber gar nicht hinschauen, ging an ihm achtlos vorüber und musste so an ihm vorübergehen. Das war vorgeschrieben. Der eine hatte aber das Recht, den anderen zurückzustoßen, ja umzustoßen, ganz, wie er wollte - ein Vorrecht, von dem Rom allerdings nach Pius IX. (t 1878) keinen Gebrauch mehr machte. Franz Sales drohte jedes Mal umzukippen. Das war auch schon tatsächlich vorgekommen, schadete ihm aber nicht weiter, da dies, was ihm als Schwäche und Untauglichkeit hätte ausgelegt werden müssen, niemand von der Päpstlichen Familie bemerkt hatte. Es war, einmal so weit nach oben geschritten wie Franz Sales, die schwierigste Hürde nach ganz oben, bei diesen Verbeugungen nicht umzukippen. Und die höchsten Kardinäle, befragt, was denn - außer der Gnade, die ich hier voraussetze - an eigenem Anteil das Schwerste war, nach oben zu gelangen, antworteten immer gleichlautend: Es waren die Verbeugungen, der Schwindel, bis hin zum Sich-Übergeben, die Angst umzukippen und das Umkippen selbst, ohnmächtig vor den höchsten Würdenträgern auf dem Boden zu liegen, allein wegen der Vorschrift, der Verbeugungsvorschrift aus dem altpersischen Hofzeremoniell, die besagte, der Kopf müsse bis zum Schoß hinunter. Und während auf der ganzen Welt dieses Zeremoniell abgeschafft ist, hatte es sich in Rom gehalten und lebte weiter.
    Dies alles zu meiner Zeit. Ich hatte mich bald in meinem Collegium mit all seinem Gepränge eingewöhnt. Das spricht doch für meine Resistenz und meine Stärke (trotz Muttermal, Maul-und Klauenseuche, Asthma und allen vegetativen Dystönien).
    Aber was blieb mir anderes übrig auf der Welt?
    Bis vor kurzem war ich ja noch Sonntag für Sonntag in Schwackenreute gewesen, der Mostonkel hatte uns (als Quasi-Höhepunkt dieser Fahrten) in den Stall gedrängt und auf seine prämierten Tiere mit den Plaketten an den Stalltürchen gewiesen. Jetzt saß ich beim Sonntagsdiner oftmals neben Kardinal Furstemberg. Unser Monsignore hatte die Angewohnheit, bunt zu mischen, wie er sagte, das heißt: neben ein hohes Tier ein junges zu setzen, übersetze ich. Gerade am Sonntag, wenn Mario, der Tischdiener und Chauffeur unseres Herrn, bei seiner Familie war (das einzige Mal in der Woche, sonst war er bei uns), kam oftmals ein hoher Gast zum Essen. Dann musste einer von uns Mundschenk spielen. Die Wasserkanne wird aber nur auf Anordnung gereicht!, wurde ich von Monsignore eingewiesen. Man bietet den Gästen kein Wasser an! (Begründung: dass es bei der Hochzeit zu Kana auch kein Wasser gegeben habe.) Es kamen auch hochgestellte Gäste, die gar nicht mehr wussten, wo sie waren, die nach Wein verlangten, denen ich Wein einschenkte: »Was für starke Arme!«, riefen sie bewundernd aus oder auch »Wie ungeschickt!«, wenn mir etwas aus der Hand fiel. Zitterte ich? Von diesem Haus, von der Ewigen Stadt, von der Theologie sind mir vor allem die Essen in Erinnerung geblieben, als ob es zu Hause nichts anderes als Speck gegeben hätte! War ich, was das Essen und die materielle Versorgung angeht, nicht schon von zu

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