Einmal auf der Welt. Und dann so
Erlösers. Beim Hinknien und Aufstehn konnte man unsere Körper kaum ahnen. Ja, nicht einmal beim Sitzen sah man etwas von uns, so geschickt hatten wir uns drapiert, solche Soutanen hatten wir gewählt, um ja kein Ärgernis zu erregen, schon gar nicht im Gottesdienst.
Wir wollten nicht vom Altar ablenken und den Menschen, der hinter uns saß, mit unserem Nacken oder mit der Form unseres Hinterteils verwirren. Das waren unsere Überlegungen. So verging unsere Zeit. Währenddessen biss Franz Sales wohl manches Mal in sein Kopfkissen, aus Gram darüber und über alles. Selbst bei den höchsten Andachten drehte sich der dickleibige, arme Mensch nach uns um, immer unter heftigen oralen Automatismen, grimassierend. Liefen wir an Franz Sales vorbei zusammen zur Kommunion, wandte er sich mit einem Ruck gegen uns, reihte sich hinter uns ein, obwohl er schon kommuniziert hatte. Stand er, heftig atmend, neben uns an der Kommunionbank, grimassierte er gegen uns und von uns weg, spielte mit seinem Gebiss, schob die untere Prothese in kurzen und heftigen Bewegungen immer wieder nach vorne, schob sie mit der Zunge zwischen seine Lippen und biss sich fest - aber alles sehr gekonnt, ohne dass etwas herausfiel.
Es war ja gar nichts mit uns, wir spielten doch nur zusammen Federball in der Bibliothek! Und dass wir uns bei den Papstmessen sahen, und auch, dass wir uns sahen, konnte er nicht verhindern. Du siehst, wie unnütz mein Leben in Rom war ...
Ich hätte ihm gegenüber ja auch einmal reden können, mit der Wahrheit kommen, auch wenn sie in diesem Fall nur eine Selbsteinschätzung, möglicherweise eine Lüge gewesen wäre: Ich hätte ihm gegenüber behaupten können, dass ich schlecht im Bett sei, und wie schlecht; hätte ihn warnen können, wie es wehtat, wie es biss - eine Drohung, die ich zeitlebens immer wieder einsetzen musste, nicht immer mit Erfolg. Er hätte meine Sprache in diesen Dingen nicht verstanden. Wir waren damals noch sprachlos. Wir arme Schweine wollten rein bleiben, mit diesem Floh im Ohr lebten wir. Das war unser Opfer, unser Anteil an der Rettung der Welt. Andere arbeiteten daran und lebten, wir opferten und beteten. Andere liebten, wir flohen. Die Liebe gab es ja, sie war Dynamit, rein theoretisch, bis zum Zusammenbruch, bis zur Explosion.
Dennoch trachtete Franz Sales nach uns, er konnte uns abwechselnd Engel und Satan nennen. Einen anderen Wortschatz hatte er dafür nicht, das arme Schwein. Nur in Rom waren diese Wörter, »trachten« etwa, noch zu Hause, auch »widersagen« und andere Fügungen.
Mein Trieb- und Gebets-, mein Lust- und Angstleben liefen nebeneinanderher. Mein Leben - ich versteckte mich mit ihm in meiner Soutane. Es gab mich nun nach außen hin, gegen das Leben hin nicht mehr. Ich war nicht mehr außer meinem Schwarz und Rot.
Aber es gab mich doch, er, es bewegte sich doch. Dieselben betenden Hände rutschten gelegentlich wieder nach unten, aber nur, wenn es ganz dunkel in mir war, sage ich zu meiner Verteidigung. Und dann die Nachtgespenster. Mit dieser Welt hatte ich nichts zu tun und wollte nichts zu tun haben, so sehr nicht, dass ich davor nicht schlafen konnte. Dann fielen mir auch noch die Verbrannten ein, die von uns Verbrannten, und ich hatte gehört, dass auch im Islam darauf der Tod stand: drei Todesarten: den Kopf vom Leib, Steinigen oder Hinabstürzen von einem hohen Ort. Hatte sich das alles Gott ausgedacht? Hatte sich das wirklich ein Gott ausgedacht? So lag ich in meiner Sünde, und Nachtgespenster machten sich über eine arme Seele her, bis ich an einer unbedachten Stelle vor Erschöpfung einschlief. Am anderen Morgen hatte ich glücklicherweise alles vergessen, und es konnte weitergehen mit mir.
Was war mit Franz Sales? Zuzeiten hatte er wohl Phantasien, die eines Heiligen würdig waren. Wallfahrten bis ans Ende der Welt, alles zu Fuß, bei seiner Statur! Auch er träumte wohl von Martyrium, Weltrettung und Apotheosen und neidete Kardinal Slipij dessen Martyrium so sehr, dass er es in Zweifel zog. Dann aber war er, sage ich heute, so schlagartig, so unbeschreiblich geil, dass er in diesem Zustand das Schlüsselloch ausgeleckt hätte, hinter dem sich das Leben vor ihm verbarg. So war es ja auch bei den Heiligen, zumal bei den größten. Ich wusste, dass der heilige Johannes vom Kreuz bei seiner Vision mit einer Erektion herumlief oder -lag, wie alle Mystiker bei ihren Visionen - die Ekstase der heiligen Teresa (von Bernini) hatte ich selbst gesehen.
Spät erst wurde
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