Einmal auf der Welt. Und dann so
Kardinalat, den Purpur der Eminenz, wie er mir gegenüber ganz offen gestand. Im Päpstlichen Jahrbuch, dem Vorbild für den Gotha - die ersten fünf Seiten bestanden nur in einer Aufzählung der päpstlichen Titel, vom Diener der Diener bis zum Stellvertreter Gottes -, war auch er verzeichnet. Sein Bistum war zwar nur ein sogenanntes Titularbistum, aber dafür eines der ältesten überhaupt, verwaist seit der Eroberung durch die Araber im Jahr 734, und lag irgendwo in Nordafrika. Die ganze Welt (seit neuester Zeit: die Weltkugel) war aber nach wie vor von Rom in Bistümer aufgeteilt; die Weltkarte bestand aus nichts anderem als aus einer Ansammlung von Bistümern oder Diözesen, wie die kirchlichen Provinzen in Anlehnung an einen Terminus technicus aus der römischen Militärverwaltung offiziell hießen. Die ganze Welt gehörte also in irgendeiner Weise zu Rom, selbst die Sahara war in mehrere Diözesen aufgeteilt, ohne einen weißen Fleck.
Franz Sales zeigte mir eine Karte von Nordafrika mit den Verhältnissen von 379. Er konnte sämtliche Städte und Siedlungen seiner Diözese aufsagen, und zwar mit den alten Namen. Er hatte schon eine Schattenregierung, in pectore, alles war vorbereitet für einen feierlichen Einzug, bis hin zu den Gewändern. Gott ist kein Ding unmöglich auf der Welt, dachte er. Franz Sales unterstand nur dem Erzbischof von Carthago, ebenfalls einem Titularamt, aber seit der gescheiterten Afrika-Expedition Mussolinis vakant, und dem Heiligen Stuhl, in Liebessachen aber der Madonna, die gleich mehrfach anwesend sein Zimmer füllte -und vielleicht mir.
Bald war mir klar, dass ich ihn darüber hinaus nicht verstehen würde. Aber dazu waren wir nicht auf der Welt, in Rom.
Bald saß er oftmals bei uns in der Bibliothek und schaute uns beim Lesen zu, so wie eine Großmutter ihren Enkeln beim Spielen zuschaut. Und auch, wenn wir am selben Ort Federball oder Räuber und Gendarm spielten, schimpfte er nur zu Beginn, uns von Anfang an bewundernd, am Ende hob er sogar die Bälle für uns auf und suchte sie mit einer Leiter zwischen den Folianten.
Wenn wir nicht Federball oder Räuber und Gendarm (das sich über die ganze Etage unseres schlossähnlichen Gebäudes hinzog) spielten (wir waren immerhin schon über 20 und aus dem ersten Spielalter heraus), lasen wir uns gegenseitig aus dem Codex Iuris vor, freilich in seiner deutschen Fassung, die schon durch ihre Übersetzung bis zur Unverständlichkeit lächerlich war. Aber wir (er und ich, nicht Franz Sales, der ja schon über die meisten Vorrechte verfügte) waren doch ergriffen. Abwechselnd lachten wir laut oder waren bis zur Gänsehaut ergriffen, wenn wir im Kirchenrecht etwa von den Privilegien eines Kardinals lasen, dem allein es zusteht, auf hoher See zwei Messen am Tag zu lesen, dem übrigen Klerus stand nur eine Messe pro Tag auf hoher See zu. Außer dem Papst natürlich und den weiteren drei sogenannten Großen Patriarchen, die auf hoher See, was die Messen angeht, keinerlei Einschränkung unterworfen waren. Die sogenannten Kleinen Patriarchen (von Lissabon, Venedig und Goa) allerdings hatten diesbezüglich keinerlei Vorrecht, sofern sie nicht den Kardinalshut trugen, was mit dem Amt des Patriarchen von Venedig seit 1719 und mit dem des Patriarchen von Lissabon seit 1846 automatisch verbunden war, lasen wir.
Davon träumten wir doch? War das nicht unser Ziel? Was ein sogenannter vernünftiger Mensch irrsinnig genannt hätte, schien uns geistlich und gottgefällig. Wir glaubten uns auf dem Weg Gottes.
Dabei wäre es doch das Einfachste gewesen, in unserer Freizeit zu den Frauen (oder Männern, denn die meisten dieser Frauen, mit denen die Männer Roms in ihren Kleinwagen dem Verkehr frönten, waren ja Männer, irrsinnig geschminkt wie Sophia Loren und blond wie Marilyn Monroe) an der Via Appia Antica hinauszufahren, so wie die anderen, so wie man das immer schon machte. Ein Auto hatten wir doch und sogar Liegesitze! Stattdessen schlichen wir in der Gegend des Pantheons mit ihren kirchlichen Konfektionsgeschäften von einem Schaufenster zum andern, mit ihren hohen und höchsten Mitren, Bischofsstäben und Ringen, mit ihren hohen und höchsten Messgewändern, die uns in allen Farben des Kirchenjahres entgegenleuchteten. Wir betraten auch manches Mal ein solches Geschäft, obwohl wir offensichtlich noch keine Kardinäle waren und noch nicht einmal als Sekretäre eines solchen gelten konnten. Dies geschah alles hinter dem Rücken von Franz Sales,
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