Einmal auf der Welt. Und dann so
zusammengeschlagen und ausgeraubt (damals schon!), aber im L'eau vive war ich gewissermaßen der geistliche Mittelpunkt. Alle schauten zum Tisch von Monsignore Obernosterer, an dem nur er und ich saßen. Von verschiedenen Tischen wurden Einladungen zu Privatmessen herübergereicht, die Franz Sales alle an sich nahm, sich süß - oder eher säuerlich - bedankend. Ich habe nichts mehr von diesen Einladungen gehört. Nur Kardinal Buffi insistierte. Ich beobachtete, bewunderte ihn, schließlich betete ich ihn an. Wie er die Speisen zu sich nahm! Wie er den Wein trank! Es gab ja keine Speisekarten. Die L'eau-vive-Nonnen (das Lokal bestand nur aus geistlich-weiblichem Personal) flüsterten die Leckerbissen des Tages ins Ohr des Sekretärs, dieser gab alles ins Kardinalsohr und so weiter. Alle tot.
Aber die Italiener beherrschen doch nur den primo piatto!, wandte er schon bei unserem ersten gemeinsamen Lokalbesuch in einer Trattoria in der Nähe des Elefantenbrunnens ein, niemals aber den secondo piatto!: Er verwies mich schon ganz zu Beginn meines römischen Lebens auf den verbrannten Fisch auf meinem Teller und auf das missglückte, milanese genannte Wiener Schnitzel auf seinem. Franz Sales sprach von der Weltherrschaft der Nudel. (Pizza gab es damals in einem ausländischen Lokal noch nicht.)
Slipij war nicht so. Der Großerzbischof von Lemberg, der ein Leben lang - vergebens - auf die Ernennung zum Patriarchen der Ukraine wartete (nachdem sich der Vatikan von ihm schon die einmalige Konstellation eines Groß-Erzbischofs hatte abringen lassen), saß in den Papstmessen herum, in der ersten Reihe, ohne hinzuhören, mit mehreren Kreuzen, Ketten und turbanartigen Mitren ausgestattet - und keine fiel herunter. Wir hörten immer wieder, dass der Heilige Vater ihm gegenüber nicht günstig gestimmt war, nicht nur, weil Slipij während der päpstlichen Ansprachen in seinen Gebetbüchern blätterte, kein Wunder, denn Italienisch verstand, wie ich damals glaubte, Slipij, der in Rom im Exil lebte, überhaupt nicht. Das hatte die Kirche nun davon, dass sie, selbst im Petersdom, auf Provinzsprachen umgestellt hatte! Auch in der Sache war der Papst gegen den Großerzbischof. Slipij war ohne jede Aussicht auf ein Patriarchat.
Wie habe ich Slipij, wie so vielen, damals und auch später noch, immer wieder Unrecht getan, denn dieser Mensch sprach schon seit seinem Studium in Rom ein ausgezeichnetes Italienisch. Und außerdem war dieser Mann gerade achtzehn Jahre im Gulag gewesen, von Stalin, der dies bei den Millionen gar nicht mitbekam, dahinein verfrachtet. Sein Leben wurde dann verfilmt: In den Schuhen des Fischers hieß der Hollywoodfilm, aber man muss sich erst das Leben in Sibirien dazudenken. Meist ging es nicht so gut aus wie im Film und auch bei Slipij, der zwar schon 74 Jahre alt war, als er Sibirien verlassen konnte, und immerhin noch einmal davonkam. Aber nun saß er in Rom, im Exil, und hatte das Leben dort auszuhalten, was für so einen Menschen und Märtyrer auch nicht so einfach gewesen sein dürfte in der Zeit von Dolce Vita.
Das traurige Beispiel von Kardinal Mindszenty hätte ihn schrecken müssen und tat dies wohl auch. Der war von einer Nacht auf die andere als Primas von Ungarn abgesetzt und nach Wien verbannt worden, dies mit 83 Jahren, und warum, weiß ich nicht, aber es geschah und stand in der Zeitung. So konnte doch nur Rom handeln oder ein anderes totalitäres System -aber selbst die Sowjetunion musste damals auf ihre Dissidenten mehr Rücksicht nehmen als Rom auf einen alten, ausgebooteten Kardinal und Großerzbischof, dessen Leben ein einziges Martyrium gewesen war. Vielleicht starb der Heilige Vater eines Tages aus Gram darüber, dass Slipij in seinen, wie ich glaube, altslawischen Gebetbüchern las, während er in seinem norditalienischen Akzent predigte und mit Agnelli Schach spielte. Einmal in der Woche kam Agnelli im Privatjet nach Rom geflogen, um mit dem 263. Nachfolger Petri, der einst barfuß und mit bloßer Hand als Fischer begonnen hatte, im Blauen Salon des Päpstlichen Palastes Schach zu spielen. Schon mit 85 starb dieser Papst, wo doch das statistische Papstlebensalter seinerzeit mit exakt 89 Jahren, 5 Monaten, 3 Tagen, 4 Stunden, 26 Minuten und 3 Sekunden errechnet worden war. All dies (auch im L'eau vive hatte man ihn nie gesehen) interessierte Slipij überhaupt nicht.
Und mich? Ich war von einem Käfig in den anderen geraten - oder wie unsere Schweine von einem Schweinekoben in
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