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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Hause her verwöhnt? Hatte ich nicht alles, was ich wollte, und mehr, als ich brauchte? Ein Fahrrad, bevor ich Fahrrad fahren konnte, ein Motorrad, bevor ich den Führerschein hatte, und schließlich ein Auto, um in die Schule - diese Schule - zu fahren, zu einer Zeit, als die anderen noch nicht einmal zum Führerscheinunterricht angemeldet waren. In unserem Collegium auf dem Aventin war jedoch alles um das Essen herum angesiedelt: Selbst noch die Gebete, die Tischgebete, schienen Zutat, ein weiterer Gang, ein Zwischengericht zu sein. Nach dem Schlussgebet folgte die Zigarrenkiste (man ließ nur das eine Laster aus), und vor dem ersten Tischgebet war schon ein Aperitif gereicht worden, im Salon des Monsignore, aber nur sonntags. Monsignore ist auch tot. Das habe ich den Zeitungen entnommen. Er war noch, kurz bevor er sich zur Ruhe setzte (mit 81), zum Kardinal ernannt worden und dann gestorben. Alles war Seide an ihm, er hatte eine Vorliebe für schwarze Seide und Monte Cristo No. 3, wie ich auch.
    Er war ein wunderbarer Mensch in meinem Leben, ich verdanke ihm viel, der Reihe nach: den Rotwein, den Weißwein, die Jakobsmuschel, die Gänseleber, die Madeirasauce, den Riz Kasimir, das Filet Stroganoff, den Gourmetlöffel.
    Ja, ich war nun in kürzester Zeit scheinbar am weitesten weg von dem, was mich gequält und am Leben gehalten hatte. Doch man nimmt sich überallhin mit, das ist noch eine Binsenweisheit von Tante Mausi.
    Nur dem Rotwein bin ich treu geblieben. So viel zum Essen und Trinken.
    Es wird Zeit für ein anderes Thema.
    Zu unserem Haus gehörte in den Sabiner Bergen ein Weingut, von da der Wein. Von da die Müdigkeit, die mich am frühen Nachmittag, zur Zeit des Mittagsdämons, überfiel, sodass ich mich seit Rom auch noch mittags ins Bett lege. Seit Rom - es hat den Anschein, als ob Rom mein Leben verändert hätte.
    Schon die Sonnenbrillen der hohen Geistlichen waren ein scharfer Kontrast zu meinem bisherigen Leben. Die höchsten Würdenträger waren von gewöhnlichen Mafiosi nicht zu unterscheiden, für mich. Zumal, wenn sie auf ihren Tribünen saßen, bei den Messen unter freiem Himmel, auf dem Petersplatz, zusammen mit dem zum Päpstlichen Hofdienst verpflichteten römischen Adel, mit den Militärs und mit den gewöhnlichen Mafiosi. Als Bischöfe, Kardinäle, Päpste verkleidete Bischöfe, Kardinäle, Päpste ... »Der Kommunismus ist eine Eintagsfliege vor Gott und seinem Stellvertreter!«, trumpfte Franz Sales manches Mal auf, ich glaubte ihm. Warum konnte ich damals nicht darüber lachen?
    Franz Sales hat mich in alles eingeweiht, was er Geheimnis der Kirche nannte. Heute bin ich eher geneigt, Unsinn dazu zu sagen - oder heiliges Theater. Aber vielleicht war ich damals auch schlicht zu dumm für alles, und ohne Gnade für diese -seltsamen - Geheimnisse Roms. Der Heilige Vater! Laut Hofzeremoniell mussten ihm die katholischen Könige, also nicht nur die spanischen mit dem entsprechenden Titel, alle katholischen Könige, sofern es sie noch gab, und darüber hinaus alle Souveräne huldigen. Der Heilige Vater war ja nicht nur der Stellvertreter Gottes, das konnte im Grunde jeder sein und war jeder, sondern er war König der Könige. Laut Hofzeremoniell taten dies freiwillig (und waren hierin durch geheime, aber regelmäßige, im Kirchenrecht vorgeschriebene Adlimina-Besuche auch geübt): der König von Spanien, der König von Belgien, der Großherzog von Luxemburg, der Fürst von Liechtenstein, der Fürst von Monaco, der (neuerdings in die Liste aufgenommene) König von Tonga. Die Apostolische Majestät Zita von Österreich kam bis zu ihrem Tod auf eigenen Wunsch, an sich hatte sie seit Madeira Dispens. All dies konnte ich bald auswendig aufsagen. Für Franz Sales gehörten diese Dinge zu den zentralen Wahrheiten der Kirche, gewiss zentraler als die ohnehin vagen Aussagen zur Auferstehung der Toten etc. Franz Sales fragte mich auch bald ab, er prüfte mich, ob ich die katholischen Souveräne auch alle aufsagen konnte; und zwar in der richtigen Reihenfolge, vorwärts und rückwärts. Auch die ausgefallenen musste ich aufsagen können, also jene, die es zweifellos auch gab und die die Hoheit des Papstes leugneten. Auch die Abtrünnigen waren dem Heiligen Stuhl unterworfen; und dies, selbst wenn sie es gar nicht wissen sollten oder gewusst hätten; und das ist bis zum heutigen Tag so. Ich weiß nicht, ob sich die abgefallenen Souveräne dem Zeremoniell des Heiligen Stuhles gemäß hätten verhalten

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