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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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das Wort »Wüste« in die deutsche Sprache eingeführt. Die ersten Bibelübersetzer kannten das Wort Wüste noch nicht. Sie sagten »sinwald« - Urwald, für die Zeit, die Jesus in der Wüste verbrachte. Unsere Vorfahren kannten das Wort Wüste und die Wüste selbst noch nicht. Erst später wurde die Wüste erfunden. Wüste - sagt es nicht alles? Braucht es noch ein neues Wort?
     
    Warum Franz Sales so gegen die Italiener war, weiß ich auch nicht. Die Tatsache, dass er Schuhgröße 48 trug, konnte doch nicht genügen. Die italienische Abneigung gegen den großen Fuß und Schuh: Dafür musste Franz Sales bis nach Bozen hinauf- oder am besten noch darüber hinausfahren. Das auch noch mit seinen Hühneraugen!, einer Erscheinung, die mir seit den Schrott-Weibern nicht mehr begegnet war und heute, da ich dies erinnere, mir abermals vollkommen fremd ist. Hühneraugen? Was ist das für ein Wort? In Rom wurde er wegen seiner großen Schuhe, in denen seine großen Füße und die Hühneraugen steckten, wahrscheinlich verachtet. »Die Italiener mögen den groben deutschen Fuß nicht! Von allem, was deutsch ist, verachten sie diesen Fuß und die dazugehörenden Schuhe am meisten!« »Und keiner weiß es!«, ergänzte Franz Sales, »weil es in keiner Zeitung steht und auf keinem Staatsbesuch zur Sprache kommt.« Nur die guten Beziehungen kommen zur Sprache, nicht aber der Ekel vor diesem großen Schuh und Fuß. Und auch ein Bundespräsident, der alles weiß und überall dabei war, weiß davon nichts. Man müsste es ihm einmal sagen, damit er es bei einem Staatsbesuch zur Sprache bringt. Franz Sales aber wusste von diesem Abscheu und schaute deswegen auch gar nicht bis zu seinen Füßen hinunter.
    Ich selbst habe in ganz Rom kein einziges orthopädisches Geschäft entdeckt und habe niemals einen Rollstuhl gesehen, nur, nur, nur Designerschuhe und Designerstühle. Wer in Italien diese Schuhgröße hatte, galt als krank und musste zur Strafe zu Hause bleiben oder barfuß ins Leben.
    Das ist wahr.
    Keine einzige orthopädische Werkstatt in Rom! Kein Schuh für Franz Sales - und dies, wenn man bedenkt, dass Italien in Schuhen Marktführer war und ist.
    »Non siete Romanu«, warf er den Römern vor. Den Irrglauben, von den Römern abzustammen, habe ihnen noch einmal Mussolini eingeimpft. »Der Italiener glaubt ja, er habe die Kartoffel erfunden! Den Kompass ohnehin! - und Amerika entdeckt!« Ein wenig erinnerte mich Franz Sales immer auch an Fritz. Seitdem seine Mutter gestorben war, hingen in seinem (bescheidenen, nachlässigen, für ihn gleichgültigen) Zimmer nur noch Mutter-Fotografien herum, verschiedene handsignierte Fotos verschiedener Päpste. Ach, von seinem Leben habe ich nie viel erfahren.
    Schon im Mai fuhren wir nach Ostia hinaus. Die Dünenmargeriten blühten. Wir lagen nebeneinander gegen das Meer hin. Franz Sales haben wir nur einmal mitgenommen. Er wollte mitkommen, mit uns im Meer schwimmen, wie er sagte. Aber dann ging er nicht einmal mit den Füßen ins Wasser, ja, er zog sich nicht einmal aus, worüber uns ein Stein vom Herzen fiel, saß nur die ganze Zeit auf halber Höhe, einem Campingstuhl unter einem Sonnenschirm, mit seiner Sonnenbrille, um uns herum. So saß er im Sand, in seinem Ornat, eine Tante, die auf die Kinder aufpasst. Gingen wir ins Wasser, hatte er Angst, dass wir nicht zurückkamen. Kamen wir zurück, atmete er wie ein Geretteter auf. Etwas später machte er uns die schwersten Vorwürfe und ließ das Wort »Todesangst« fallen.
    Ich hatte meine Hebräischgrammatik dabei und drehte mich von Zeit zu Zeit von der einen auf die andere Seite. Franz Sales drehte sich mit.
    Es dauerte anderthalb Jahre, bis ich »Franz Sales« sagen durfte. Und in der Öffentlichkeit musste ich bis zuletzt »Exzellenz!« zu ihm sagen. Armes Schwein! Was für eine traurige Erscheinung warst du mir auf diesem Campingstuhl!
     
    Es ging ja nach außen hin um Geld, aber eigentlich ging es im Istituto per le Opere religiöse, dem IOR, der Vatikanbank, zu der mir Franz Sales Zutritt verschafft hatte, um alles.
    Oftmals stand ich da zum Geldwechsel in einer langen Schlange am Schalter, vor und hinter unscheinbar dicken Nonnen in braunen Gewandungen (»Braun, eine Farbe, die dick macht«, Lucy), die mit ihren unscheinbaren Geldtaschen aus Baumwolle ankamen, den Einnahmen aus ihren Pilgerhospizen, ich erinnere namentlich die dicken Einkaufstaschen mit den Lirescheinen darin, in Zeitungspapier gewickelt, wie ausgepackt und

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