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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Zweck geliehen hatte, bis er den Zug kommen hörte. Dann schlug er die Tür des Lieferwagens zu, warf die Fahrzeugschlüssel zusammen mit seinem ganzen Schlüsselbund in die Pampa, rannte die wenigen Meter bis zu den Schienen und legte sich gegen die Fahrtrichtung, aber parallel zu den Geleisen, mitten auf den Boden. Es war eine Sache von Sekunden, und er hatte alles überstanden. Diese Bahnlinie war die einzige Verbindung der Gegend mit der Welt.
    Das Lebewesen, dessen Identität aufgrund des stehengebliebenen Automobils bald festgestellt werden konnte, war nicht auf der Stelle getötet worden. Der Zug schob es noch ein Stück weit vor sich her wie ein Problem, das schließlich mit Gewalt gelöst wird.
    Er hatte sich den kürzesten Tag des Jahres ausgesucht. Es war weit weg von jeder künstlichen Beleuchtung wirklich Nacht, und die Sterne hatten keine Kraft. Der Lokführer merkte außer einem dumpfen Widerstand, der sich aber bald verlor, nichts. Wahrscheinlich hatte er ein Schaf angefahren.
    Gotische Hände! Der Chirurg des kleinen Krankenhauses von El Bolson wies entzückt auf die Hände, die für sich auf dem Tisch des Leichenhauses von Sant'Agata lagen. Die Ermittlung der Todesursache war schon abgeschlossen. Er war wohl nicht auf der Stelle gestorben, das zeigte auch die Blutspur, die sich am Gleiskörper entlangzog. Kein Verbrechen, nein, aber auch in diesem Fall kein sogenannter natürlicher Tod. Señor Antonio war durch ein Telegramm verständigt worden. Das Auto, das er zuerst vermisst hatte, sei bei El Bolsón herrenlos an der Bahnlinie stehend gefunden worden. Antonio ließ sich von Mario nach El Bolsón fahren, schnell und stumm, auf der ungeteerten Piste eine Wolke von Staub nach sich ziehend. Im Leichenhaus gab es nichts mehr zu sehen. Anhand der sogenannten sterblichen Überreste hätte der eine den anderen ohnehin nicht mehr ohne weiteres erkennen und somit identifizieren können. Dazu genügte ein Schuh, der vor ihn hingelegt wurde, zusammen mit den anderen Hinterlassenschaften, die am Ort des Geschehens gefunden worden waren.
    Topographie des Todes. Er wollte sich doch die Stelle zeigen lassen, wo es passiert war. Sie ließen sich also die Stelle erklären und fuhren hinaus. Sie suchten und fanden auch bald das besagte Erkennungszeichen, die deutlich sichtbare Blutspur, die sich vom Rost der Gleise und von den Steinen dazwischen abhob. Das war also in etwa die Stelle, wo er mitgerissen wurde, und dort die Stelle, wo er zu liegen kam.
    Man hätte doch nicht darüber reden können. Sie fuhren hintereinander nach Pico Grande zurück. Aber unterwegs zitterten seine Knie und seine Hände und alles. Er bebte. Sonst gab es keine Lehre aus diesem Fall. Es gab nur frühere und spätere Katastrophen.
     
Wie ich den Wind hasste
     
    Wie ich den Wind hasste, die Gewalt von nichts über etwas! Ich stand nun in einer Landschaft, deren Berge keine Namen hatten, deren Seen nummeriert waren. Da stand ich nun. Aufgrund der blauen Briefe und der Bilder hatte ich mir ein Bild gemacht. Aufgrund meines Fernwehs.
    Artig hatte ich ein Reisetagebuch anlegen wollen, Notizen aus Südamerika oder so. Ein Zeugnis, dass ich da war, da gewesen bin und da gewesen sein werde. Als wäre alles das letzte Mal. Und kein Wort von dem anderen in meinem Kopf, vom Befund. Aber der reiste dann doch wie ein Schatten mit, wie gesummt, wie gesungen, wie im ersten Lied der Winterreise »Fremd bin ich eingezogen, fremd zieh' ich wieder aus« ... es zog »ein Mondenschatten als mein Gefährte mit«, und so fort.
     
    Nur eine Reise. Nur ein Reisender. Ich war nur einen kurzen Sommer lang bei ihnen, ein paar Wochen, als Gast. Es ist nicht viel, was ich mitgebracht habe. Erinnerungen, Geschichten vom Ende der Welt.
    Ich hatte mir ein Bild gemacht, aufgrund der Erinnerung der Schwester, mit der zusammen ich aufwuchs, wie sie in unserem Haus fortlebte. Ich wusste nur, dass Antonio (mein Onkel) fortgefahren war, fortgefahren und nicht wiedergekommen. Aus meinem Haus, meinem Zimmer, meinem Bett, nach Amerika, ein Amerikaner. Vom selben Bett weg, in dem er und ich, zwei Gesellen, schliefen und geschlafen hatten und im Schlaf wuchsen und gewachsen waren, wir zwei Feuerzeichen.
    Ich werde ihn der Einfachheit zuliebe Auswanderer nennen, ihn und alle, die es nach Pico Grande verschlagen hat.
    Am Anfang war eine Weltreise, das entsprechende Gepäck. Sein Onkel hatte 1898 eine Kolonie gegründet, Pico Grande, das zunächst Nueva Alemania hieß. Er hatte

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