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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Verwandten waren stolz auf diesen Friedhof, diesen Namen, dieses neue Grab, das möglicherweise das einzige auf der Welt war, das die Verbindung unserer Familie dokumentierte. Unser Friedhof, sagte sie und zeigte auf sich und mich, ließ ihren Zeigefinger zwischen sich und mir hin- und hergehen, spielen. Er erinnerte mich an meinen Friedhof, den Heimatfriedhof, die Mutter aller Friedhöfe, die ich bisher in aller Welt betreten habe, immer aufrecht und niedergeschlagen.
    Rosa, meine Cousine, die mich bald liebte, wie ich sie liebte, hatte sich wohl vom ersten Augenblick an auf meine Seite geschlagen. Sie war für mich da, solange ich in Pico Grande war. Sie glaubte unsere Bande durch unseren Friedhof noch enger geknüpft. Auf dem Rückweg saß sie neben mir und wollte von mir hören, welcher Friedhof der schönere sei, unserer hier oder unserer dort. Ich könnt' es ihr nicht sagen.
    Vielleicht wollte mich Rosa auch nur bekehren. Und von ihrem Liebhaber, mit dem Lastwagen im Norden, wusste ich auch noch nichts. Sie hatte vielleicht diese Gene von ihrer Schweizer Urgroßmutter bekommen, die auch fromm und voller Verlangen war.
    Die Ur-Tante Lys hatte sieben Kinder bekommen, einen richtigen Wurf, dachte ich. Ihre Nachkommen lebten bis zum heutigen Tag. Du hast bei ihnen übernachtet, ein Pferd zum Ausreiten bekommen. Du bist mit ihnen zum Asado an einen der nummerierten Seen hinausgefahren. Du standest aufrecht auf der Ladefläche des Chevrolets und warst dem südargentinischen Sommerwind ausgesetzt. Aber den Stammbaum, den sie dir zur Vervollständigung der Familienannalen nachgeschickt haben, musst du zurückschicken.
    Du wirst deine Geschichte neu schreiben müssen. Die Daten, die von den Auswanderern nachgeschickt wurden, löschen.
    Es half nicht viel, mir klarzumachen, dass vor dem Chromosomengott das Blut nicht viel galt. Schon meinem längst verstorbenen Urgroßonkel war nichts anderes eingefallen, als dem Frevel seinen Segen und den Kindern von Frau und Halbbruder, deren Halbonkel er war, seinen Namen zu geben.
    Sprechen konnte ich nicht mit allen.
    Die dritte Generation sprach nur noch gebrochen Deutsch. Es kam immer auf die Mutter an. Über sie wurde die Muttersprache weitergegeben. »Friedhof«, »Grab«, »Grabstein«, »Grüß Gott!« und »Auf Wiedersehen!« konnten jedoch noch alle sagen.
    Weihwasserkessel gab es in der Indianersprache, im araukanischen Dialekt, nicht, gewiss nicht. Aber meine deutschstämmige katholische Verwandtschaft war mit den letzten Dingen noch vertraut. Die wichtigsten Daten waren in fehlerfreiem Deutsch auf den Grabsteinen zu lesen, letzte Lebenszeichen.
    Für sie waren Tod, Heimat und meine Sprache fast dasselbe.
     
Hier hatte ein Meteorit eingeschlagen. Wie entkommen?
     
    Das Loch im Himmel, das sich gegen den Boden hin fortgesetzt hatte, schien mir zu groß für ein gewöhnliches Loch. Ein Loch in Himmel und Erde, schien mir.
    Das Loch ist mit Wasser gefüllt, der Kopf mit Erinnerungen, mit Wasser und Erinnerungen.
    Ich erinnere mich, ich höre ihre schlichte Sprache, die mit den wenigen Worten nicht zurechtkam, sich selbst mit Händen und Füßen helfen musste. Auch noch für die einfachsten Dinge waren zusätzliche Zeichen nötig. Was für ein schlechtes Spanisch sie sprachen! Es war alles ganz wie zu Hause.
    Das wenige, das aus ihrem Mund, ihren Augen kam, und schon auf eine vollkommene Stummheit hinauslief! Saß ich mitten unter ihnen bei einem Stück Torte, bei einem in Illustriertenpapier eingewickelten, mir geschenkten Fisch oder um das Grillfeuer herum, immer mitten unter ihnen, gaben sie mir zu essen und zu trinken, sagten sie einfach: Iss!
     
    Wie entkommen?
    Bei den Scheinzypressen, den als Samengruß von zu Hause geschickten Tannen, mit meinem gerade verstorbenen Onkel, oberhalb der Estancia, mitten in Patagonien, am Rand der Kordilleren, am Anfang des Endes der Welt, wo die Sonne im Norden stand (ihr Norden war mein Süden) und der Hochsommer auf Ende Dezember fiel, allein mit meinem Taschenatlas.
    Mein Taschenatlas - eine erste Orientierung, die Erde vor mir, vom Flugzeug aus hatte ich den gleichen Blick.
    Mit meinem Onkel habe ich nie ein Wort gewechselt, seine Stimme brachte mir ein wackeliger Kassettenrecorder. Ich musste mir alles dazudenken. Ich ergab mich dem Spiel meiner Erinnerung, der Erinnerung, die mit mir spielte.
    Im Anfang war mein Fernweh. Wohin hätte ich fliehen sollen? Wo wäre ich vor ihm sicher gewesen?
    Meines ersten, meines alten Bundes

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