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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Adern, in denen das Blut an mir vorbeifloss. Die anderen wussten alles, aber sie dachten anders.
    Ich war der Einzige, der dachte wie ich.
    Lys hatte sich immer wieder mit Karl ins Bett gelegt, dafür gelebt, sich unter ihn hinzulegen. Mein Vorfahr aus Tirol hätte dieses Verhältnis seines Kindes aus Liebe geduldet, ich weiß. Er war auch so, er wollte auch nur das Eine. Aber fotografieren ließ er sich doch nicht mit seiner Stallmagd, sondern mit meiner Vormutter, so wie sich auch Lys nur mit ihrem auf dem Papier ausgewiesenen Mann fotografieren ließ. Im Kaminzimmer hingen die Fotografien von allen, der ganzen rechtmäßigen Verwandtschaft: betrügender Vater, betrogener Sohn, da hing der alte Adam. Und jetzt lachten alle nur, wenn sie ihre Herkunft bedachten. Das Bild rückte von Zeit zu Zeit ferner, erlangte allgemeinere Bedeutung. Weit über den einfachen Ururgroßvater hinaus war er zum Blutzeugen geworden, zu meinem und unserem Beweis, dass wir Leben hatten und haben, dass wir aus dem Schoß Abrahams in die Welt hinein, hoch vom Mastkorb, vorübergehend - Muss ich von dieser Erinnerung geheilt werden?
    Ich ganz allein, inmitten dieses Ozeans. Das Blut, das fließt, wie es will, der Betrug, geht über den Ozean, schwimmt mit, wird hinübergeschleppt, kommt an, und mein Blut hätte gefrieren können.
    Lys lag mit Karl im Bett, während mein Onkel erste Schneisen durch den Urwald ziehen ließ.
    Er stellte diesen Nachkommen von Frau und Halbbruder, seinen illegitimen Neffen, ein schönes Leben sicher, eine sichere Anwartschaft auf ein schönes Grab auf unserem Friedhof. Der Chef des patagonischen Zweigs unserer Familie ... hat zwar keine richtige Familie gegründet, aber einen Familien-Friedhof, den hat er gegründet, ganz oben, auf dem höchsten Hügel zwisehen Pampa und Südanden. Außerhalb von Pico Grande, nicht für die anderen, nicht wie die anderen. Die lagen unten, über die Pampa verstreut, in einem dieser Löcher verschwunden, die ich vor allem anderen gesehen hatte, von Un-Gras überwachsen.
    Gleich am ersten Tag schleppten sie mich auf den Friedhof. Ich sollte vor allem das schöne Grab meines gerade gestorbenen Onkels, den auch schon aus El Bolson eingetroffenen Grabstein anschauen. Im Chevrolet-Konvoi fuhren wir den holprigen Weg hinauf. Ich wurde in die Mitte der Fahrzeugbank gesetzt. Von ferne eine Erinnerung an die Nächte zwischen den Eltern, die sich damals, als ich drei Jahre alt war, vielleicht sogar noch geliebt haben, so sehr, dass sie mich, ihr Geschöpf vor Ort, dazwischen duldeten.
    Es war seltsam, da oben meinen Namen zu lesen, nur meinen Namen, nichts und meinen Namen, dieses Mal auf dem Hintergrund der Anden und des Pazifischen Ozeans, der durch das Gebirge kaum verdeckt wurde und mir immer hervorzuschimmern schien. Eine auflösliche Ehe, die hier gestiftet war, die Ehe zwischen meinem Namen und den Anden, die sich zwischen den Ozean und meinen schweifenden Blick schoben. Mein seltsamer Name, der mich blutrot werden ließ, diesen wohlklingenden Namen, über dessen Bedeutung sie sich keine Illusionen machen sollte, dessen Offenbarung ich mir für den Tag meiner Rückreise aufsparen wollte. Da wollte ich es Rosa, die so hieß wie ich, sagen. Schwanz hießen wir, alle.
    Der Himmel dazu ein kalter Himmel, so kalt, dass die Augen froren. Der Wind biss sich ins Haar, ins Gesicht, »der ewige Wind«, hatte mein Onkel geschrieben, der eisige Wind duldete nichts neben sich. Die Toten trugen meinen Namen. Meine Gedanken schweiften.
    Trotz des Windes, wegen des Windes und der Kälte sah ich, wie ihre Wangen glühten, als Rosa auf den Namen deutete. Da stand mein Name mit dem katholischen Zeichen für Ewigkeit auf dem mattschimmernden Grabkreuz. Mein Onkel hat dieses Zeichen noch gekannt, auch ich kannte es noch, aber Rosa hatte davon keine Ahnung. Aber sie fotografierte mich und meinen Namen mit dem katholischen Zeichen für Ewigkeit.
    Auf einem gewöhnlichen Friedhof gibt es außer den Gräbern und den Namen nicht viel zu sehen, von der Aussicht einmal abgesehen, die in gewisser Weise jeder Friedhof bietet: Immer schon waren Friedhöfe kleine Aussichtspunkte, immer lagen sie mitten in der unverfälschten Natur.
    Ich stellte mich allem, was ich zu sehen bekam, mit einer heiteren Miene.
    Ein A und 0 auf brüchigem Holzkreuz oder auch wie bei meinem jüngst verstorbenen Onkel auf brüchigem Marmor, und der Name Schwanz dazwischen: Sollte das einer Ewigkeit aus Wind und Kälte trotzen?
    Aber meine

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