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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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Von den Gläubigen waren schließlich neunundneunzig Prozent mit Die Welt aber versorgt, einige sogar doppelt. Es war mir gelungen, die Frömmsten von einem Ersatzband zu überzeugen.
    Ich dürfte elf Jahre alt gewesen sein - Aber was ist aus diesen Büchern geworden? Der Titel meines Buches blieb mir auf immer etwas fremd, aber die fromme Tat ehrte mich und verschaffte mir einen kleinen Heilsvorsprung. -
    Ich wundere mich, die Schneeanden zum Zeugen aufrufend, dass ich das alles gemacht und vermocht hatte, ohne die geringste Provision, alles umsonst, wenn ich von einem »Vergelt's Gott« absehe, dem katholischen Wort für »Vielen Dank«. Eine Geschäftsniete war ich, die aber die Gabe hatte, den anderen alles aufzuschwatzen, was ihnen von Schaden war, selbst Männern, die sich zwischen den Beinen kratzten, oder Frauen, die bis dahin nur an Gott und Kuchen gedacht hatten.
    Schließlich saß ich so sehr fest, dass ich die Hoffnung, meinem Gebirge zu entkommen, vollständig aufgegeben hatte. Aber es hat mich doch noch hinausgeschleudert, der Nachtfrau zum Trotz, die mich im Bett haben wollte und im Dunkeln zu Hause. Es hat mich hinausgeschleudert, dachte ich.
    Ich fahre immer noch, dachte ich, nun am Fuß dieser namenlosen Berge, die Nachtfrau konnte sich nicht durchsetzen, sondern der Bierfahrer. Er hat mich nicht mit Bier versorgt, sondern mit Fernweh.
    Doch meinen Fluchtbewegungen, die durch die Gefangennahme vonseiten der Schule zum ersten Mal einen vernünftigen Grund bekamen, stellte sich von Anfang auch mein ererbter Gehorsam, meine Feigheit, mit der ich meinen Fatalismus zu kaschieren versuchte, entgegen. Mein von Anfang an erinnertes Leben als Leibeigener, als Höriger der Welt über mir und der Herren dieser Welt verhinderte mein Fortkommen und Blühen.
    Hieß Blühen: sich verzehren?
    Wenn ich mich nun wiederholt erinnerte und erinnern musste, wie es war, so sage ich, dass ich alles, was ich über meinen Biermann und den Kunstdüngervertreter von der Welt hörte, aufsog, gleichgültig, wie gut oder böse es war. Wenn es nur von weit her war.
    Doch mein Gehorsam trieb mich außerdem auch noch ins Haus Gottes und in die Arme seiner Stellvertreter und ihrer Nachstellungen, mich, eine schließlich scheiternde Verbindung aus Demut (dienmuot) und Ehrgeiz, Fernweh (Weltflucht) und Welterlösungswillen, aus Feuer und Wasser, Erde und Luft. Ich, dieses Ich, ging schließlich in meiner Maul- und Klauenseuche auf (in diesem Fanalwort, ich weiß nicht, was für einen Namen es hatte, was mit mir war), die schlagartig ausbrach und alles, was ich war, gewesen war, zuschanden machte.
    Also keinen Willen mehr, in See zu stechen, mich für die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger in die Wogen zu stürzen oder für die Deutsche Lebensrettungsgesellschaft. Nie mehr mit der Deutschen Kriegsgräberfürsorge in die Bretagne oder mit Pax Christi nach Polen oder in einen Kibbuz zur Jaffa-Orangen-Ernte. Längst hatte ich meinem Treiben ein Ende gemacht. Und nun blieb mir auch nichts anderes mehr, ich hatte ja nicht einmal mehr mein Muttermal, und schon als Kind konnte ich jeden Abend, kurz bevor ich einschlief, nicht viel mehr denken als »wieder ein Tag weniger«.
    Zuletzt trieb ich mich sogar im Überlinger Hauptbahnhof herum, um für die Bahnhofsmission Geld zu sammeln oder Seelen zu retten, die sich, gelegentlich sogar nachts, zu mir flüchteten, nachts in mein kleines Zimmerchen mit dem Alarmknopf unter dem Tisch. Vor mich hingesetzt hatten sie sich und wollten etwas zu essen von mir. Zweimal im Jahr ging ich mit meiner von oben genehmigten Sammelbüchse die einzelnen Restaurants, die Vorhallen und Nischen und anderen Örtlichkeiten durch. So viele waren das ja nicht in Überlingen. Auch die öffentlichen Anlagen sparte ich mit meiner frommen Büchse nicht aus, mit meinem Verlangen, meinem fromm fordernden Verlangen »nach einer kleinen Spende für die Bahnhofsmission«.
    Diesen Satz habe ich tausendmal im Verlauf mehrerer durchaus erfolgreich gewordener Sammelaktionen vor mich hin gesagt. Er war mir mitgegeben worden von der Schwester, die mich mit einer Armbinde, die mich als Bahnhofsmission deklarierte, losgeschickt hatte, sodass ich sogleich als energisch fromm lächelnder Trottel vom Dienst zu erkennen war.
    All diese Dinge behielt ich in Pico Grande fest bei mir. Überzeugt, dass gerade ein solcher Bericht etwas Neues gewesen wäre für Rosa, die alles wissen wollte und mich nach längst verflossenen Abenteuern

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