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Einmal auf der Welt. Und dann so

Einmal auf der Welt. Und dann so

Titel: Einmal auf der Welt. Und dann so Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Stadler
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eingedenk - meiner Ehe von Fernweh und Weltrettung: Zuerst zum Ernteeinsatz in einen Kibbuz, zu den Jaffa-Orangen, zum Zeichen, dass ich aller Welt Freund war und sein wollte. Oder die Kriegsgräberfürsorge? Waren nicht so und so viele meiner Vorfahren auf dem Feld der Ehre liegen geblieben? Welche Möglichkeiten, meinem Gebirge zu entkommen, hatte ich noch? Wie konnte ich mein Fernweh mit meinem Drang, die Welt zu retten und alles mit allem zu versöhnen, verbinden?
     
    Ich saß nun unterhalb unseres Friedhofs und oberhalb der Estancia des Onkels, mein Reiseziel, im Angesicht der Schneeanden, auf dem Gipfel meiner Fluchtbewegungen.
    Selbst die entlegensten Ziele hatte ich ausgewählt, im Anfang, als ich den Weltrettungsgedanken mit dem Fluchtgedanken verband:
    Die Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger hatte schon früh, von Anfang an, meine Aufmerksamkeit erregt und war auch immer eine Art Lebensgefährte geblieben. In aller Frühe hatte ich ein Auge auf sie geworfen, mein Auge, ich sah, dass es aufs Meer hinausging. Es hätte mich vom Schiff reißen können, so sehr bebte alles unter mir, aber ich war angetan mit meinem Teerzeug, das Salzwasser konnte meinen Stiefeln und Gummimänteln nichts anhaben; und schon zog ich meinen ersten Ertrinkenden aus dem Wasser. Zu dieser Zeit konnte ich allerdings noch nicht schwimmen, aber dafür hatte ich einen Willen, der über das Wasser gebot.
    Es kam der Biermann. Der wöchentliche Besuch unseres Bierfahrers. Dann schwebte die Taube aus La Paloma über dem Wasser meines Meeres. Schon damals war La Paloma mein Lieblingslied und blieb es und würde auch zur Musik gehören, die auf meiner Beerdigung zu hören sein würde, wie das Gegenstück: In einem kühlen Grunde. Jedem Element hatte ich ein Lieblingslied zugeordnet, dem Feuer und der Luft aber ein einziges, das Veni Creator Spiritus hieß.
    Der Bierfahrer hat mich mit seinem Fernweh angesteckt. Es kam kein Schwan ins Haus. So ließ ich mich von meinem Bierfahrer mitreißen, mir von meinem Bierfahrer die Größe Wiens beschreiben, mit den Augen eines Soldaten, der den Wienerinnen die Hand geküsst, und wartete auf das Erscheinen des Düngemittelvertreters zweimal im Jahr. Auf diese Weise erfuhr ich sehr früh von jener nackt auf dem Tisch des Offizierscasinos tanzenden Diva mit einem anbetungswürdigen Arsch und Dinge, die ich niemals erfahren hätte, wenn nicht der Kunstdüngervertreter gekommen wäre. Er war im Geist Hitlers erzogen worden und hatte schon vor meiner Geburt seinen Glauben notwendigerweise verloren, hatte nichts mehr außer seinen halbseidenen Erinnerungen, die ich, ein Kind, aus ihm herauslockte. Ich habe ihn manches Mal zu seinen Erinnerungen verführt. Unmittelbar nach dem Ende gehörte er zu den Glücklichen, die, wenn auch als Flüchtlinge, um die halbe Welt gekommen sind. Sein Leben setzte er schließlich als Düngemittelvertreter fort, der Kunstdüngergott führte uns zusammen und führte uns wieder auseinander. Und auch der Biermann verschwand wieder aus meinem Leben und ließ mir seine Erinnerungen mit ihrem anbetungswürdigen Arsch zurück. Ich war daran hängengeblieben.
    Er war schon ganz woanders, auf dem Friedhof von Tuttlingen, der Stadt von »Kannitverstan«, aber ich war immer noch bei diesem anbetungswürdigen Gegenstand, der sich bald in mir zu einem göttlichen Gegenspieler entwickelte, ja mehr denn je.
    Einst durfte ich diese Gottheit nicht aufkommen lassen und versuchte, seine Anbetungswürdigkeit mit Gewalt aus mir zu vertreiben, so fromm war ich, dass ich keinen anderen Gott duldete.
    Und dann? Erreichbar war die Schwäbische Alb, waren die halbhohen Gipfel des Allgäus. Auf sie hinauf, das ging. Aber ich hatte keine Lust auf sie, vom Tag an, als mir jener Arsch als anbetungswürdig aufging. Dennoch ging ich weiter zur Messe, ministrierte sogar und verstand schon im zweiten Jahr meines Lateins, wenn unser guter Pfarrer Strittmatter »lavabo inter innocentes manus meas« vor sich hin flüsterte und mich meinte.
    Ich hatte es, damals, einst, und wie die Wörter hießen, die mir sagten, dass es vorbei war, gerade durch angeborene Frömmigkeit und Überredungskunst geschafft, über hundert Bildbände, die das Zweite Vatikanische Konzil unter dem Titel Die Welt aber soll erkennen festhielten, beinahe hundert Gläubigen aufzuschwatzen. Neunundneunzig von hundert Gläubigen kauften mein Die Welt aber. Dazu ging ich von Haus zu Haus wie ein längst in die Stadt gezogener Landstreicher.

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