Einmal durch die Hölle und zurück
verstümmeln kann?«
»Violet …«
»Warum hast du keine Angst, wenn jemand auf dich schießt?«, fragt Violet.
»Ich hatte doch Angst.«
»Du hast
gelächelt
. Und danach hast du dich geweigert, die Polizei zu verständigen. Warum hast du McQuillens Büro ausgeraubt?«
»Ach, bitte. Eigentlich hab ich gar nicht …«
»Bist du überhaupt Arzt?«
Mein Gott.
Früher haben mir nur meine Patienten diese Frage gestellt. Und jetzt tut es jeder.
»Ja. Bin ich.«
»Und so was wie ein Polizist?«
»Nein.«
»Bist du ein Verbrecher?«
»Nein.« Zur Zeit nicht.
»Hast du schon mal im Gefängnis gesessen?«
»Nein.«
Vielleicht neun Monate in Untersuchungshaft wegen Doppelmords, aber im Gefängnis? Nie.
Wahr und doch falsch: Das ist nicht bloß eine Geisteshaltung. Das ist ein Lebensstil.
»Bist du der, für den Rec Bill dich hält?«, fragt Violet.
Was für eine raffinierte Frage
, hätte ich fast gesagt.
»Ja, ich glaube schon.«
»Was bedeutet das?«
»Rec Bill hat Baboo Marmoset – weißt du, wer das ist?«
»Ja.«
»… gebeten, ihm jemanden mit wissenschaftlichem Hintergrund zu empfehlen, der dich auch beschützen könnte, falls irgendwas schiefläuft.«
»
Mich
beschützen?«
»Ich weiß: Da hab ich ziemlich versagt.«
»Moment. Wer wollte mich beschützen lassen?«
»Rec Bill.«
»Rec Bill wollte, dass du mich beschützt?«
»Wenn nötig, sollte ich zumindest dazu imstande sein.«
»Ach du meine Scheiße«, sagt sie.
Plötzlich sind meine kriminellen Neigungen vergessen. Genau wie die Fotos von den toten Jugendlichen.
Schwer zu übersehen, was das bedeutet.
»Bist du mit Rec Bill …«, sage ich.
»Was?«, fragt sie zerstreut.
»Ist Rec Bill derjenige, welcher? Der Quasifreund?«
Sie sammelt sich wieder. »Nein.«
»Warum wirst du dann rot?«
Sie wendet den Blick ab. »Du kannst mich mal. Ich werde gar nicht rot.«
Wir erröten beide. Ich kann es spüren. »Er ist es!«
»Darüber will ich nicht reden.«
»Dann bringen wir’s besser hinter uns.«
»Das geht dich gar nichts an.«
»Dass du mit unserem Boss vögelst?«
»Was?«
Wenigstens habe ich ihre Aufmerksamkeit wiedererlangt.
»Okay«, sagt sie. »Erstens: Ich vögele nicht mit ihm. Und zweitens vögele ich auch nicht mit dir, was zum Teufel geht es dich also an? Wir haben uns bloß geküsst. Ein einziges Mal.«
»Das war das einzige Mal, dass ich dich nach Sonnenuntergang nüchtern erlebt habe.«
»Ach, leck mich doch.« Sie stemmt sich hoch und wendet sich erst von mir und dann von den Fotos
und
mir ab. »Das ist doch Quatsch. Und es ist überheblich. Vielleicht nicht total überheblich, aber trotzdem überheblich. Jedenfalls ist es absolut unhöflich. Und was ist überhaupt dein Problem? Denn ich glaub dir nicht, wenn du sagst, dass du nicht mit betrunkenen Frauen vögelst.«
»Nur wenn ich auch betrunken bin …«
»Uäh!«, sagt Violet. »Vergiss einfach, dass ich gefragt hab. Das ist echt typisch. Weil du glaubst, dass mich Rec Bill begehrt, willst du plötzlich auch mit mir
zusammen sein
oder so was. Dabei weiß ich nicht mal, ob er mich wirklich begehrt. Ich weiß nicht, was zum Kuckuck in euch vorgeht. Nie weiß ich das.«
»Nie?«
»Rec Bill ist ja nicht ansprechbar. Und du beantwortest keine Fragen.«
»Na ja, wenigstens bin ich ansprechbar.«
»Leck mich. Du brauchst gar nicht zu versuchen, mich zum Lachen zu bringen. Es macht keinen Spaß, in deiner Nähe zu sein. Du gibst einem das Gefühl, als wäre es so, aber es ist beängstigend. Weil ich nicht mal weiß, wer du bist. Im Ernst: Wer zum Teufel bist du? Und was willst du von mir? Ein kleines Abenteuer auf einer Geschäftsreise? Dass wir Freunde werden, ohne dass ich irgendwas über dich weiß? Was?«
Verdammt.
Weder falsch noch unverdient, und trotzdem verdammt. Schon erstaunlich, wie viel von dem, was ich über sie gedacht habe, auf einmal lächerlich wirkt. [52] Und wie viel von dem, was ich zu ihr gesagt habe.
»Keine Ahnung«, sage ich.
»Na toll. Sag Bescheid, wenn du dich entschieden hast. Willst du inzwischen das Zimmer haben?«
»Nein.«
»Uäh. Einfach nur – uäh. Und nimm bitte die verdammten Bilder mit.«
Das bedeutet wohl, dass ich gehen soll.
19 Camp Fawn See Ford, Minnesota
Immer noch Samstag, 15 . September
Ich gehe um den Jachthafen herum. Rauf zum Laden. Wieder zum Jachthafen runter. Zum Parkplatz, um den Umschlag mit den Fotos im Wagen zu verstecken. In den Wald zwischen der Lodge und dem Ort.
In den Wald
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