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Einmal durch die Hölle und zurück

Einmal durch die Hölle und zurück

Titel: Einmal durch die Hölle und zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Bazell
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Ich weiß zwar nicht, was für eine beschissene Stell-dich-deinen-Ängsten-Übung das werden soll, aber solange ich nicht wieder in den Neoprenanzug schlüpfen muss, habe ich nichts dagegen. Ich kann nicht mal die Wasseroberfläche erkennen. Und wenn die Regenwolken den Mond verdecken, werde ich gar nichts mehr sehen.
    Doch ich höre was.
    Ein Brummen. Ganz leise, nicht viel mehr als eine Veränderung des Drucks im Gehörgang, als würde in der Wohnung nebenan der Kühlschrank anspringen.
    Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass es kein Kühlschrank ist. Ich folge dem Strand nordwärts am Rand der sich verbreiternden Schlucht des White Lake entlang. Der Strand ist schmal und uneben, aber selbst im Nebel kommt man mühelos voran, weil sich daneben eine Granitwand erhebt.
    Das Brummen wird allmählich lauter. Nach einer Weile komme ich zu der Stelle, wo die Felswand und die ganze Schlucht nach rechts schwenken und sich meinem Blick ein noch unbekannter Teil des Sees darbietet. Der Schemen, den ich darauf sehe, muss ein Boot sein. Glitzerndes Metall im wabernden Nebel und ein schwacher grüner Lichtschein.
    Natürlich habe ich mein Fernglas und mein Nachtsichtgerät im Zelt liegenlassen.
    Das Brummen verstummt. Das Boot treibt nur noch auf dem Wasser.
     
    »Was machst du da?«, fragt Violet, als ich meinen Rucksack durchsuche. »Hast du Bell gefunden?«
    »Scht. Nein. Auf dem White Lake ist ein Boot.«
    »Was?« Sie richtet sich auf den Ellbogen auf. »Was macht es da?«
    »Keine Ahnung. Ich konnte es nicht richtig erkennen.«
    »Du willst noch mal hin?«
    »Ja.«
    »Warum hast du mich nicht geweckt?«
    »Hab ich doch.«
    »Ich meine, mit Absicht.«
    »Weil wahrscheinlich wieder auf uns geschossen wird«, sage ich.
    Violet tastet nach ihren Kleidungsstücken. »Ich komme mit.«
    »Es regnet.«
    »Wen interessiert das schon?«
    »Wir müssen uns beeilen.«
    »Gut. Dann nehme ich kein Bad, sondern dusche nur. Was ist nur mit dir los?«
    Eine ganze Menge. Ich beobachte, wie sie den Reißverschluss ihres Schlafsacks öffnet und noch im Liegen die Jeans über die Gänsehaut an ihren Schenkeln zieht. Die Hose bleibt kurz an ihrem Venushügel hängen, und beim Zuknöpfen sehe ich ihren nackten Bauch.
    Als ich ihr ins Gesicht blicke, sehe ich, dass sie mir dabei zusieht, wie ich sie beobachte. Doch ihr Blick ist nicht streng.
    Da bleibt einem nicht viel zu sagen. Ich öffne den Reißverschluss des Zelteingangs. Inzwischen regnet es in Strömen.
     
    Es ist ein großes Schlauchboot, etwa sechs Meter lang, in der Mitte ein Sockel für das Steuerrad und metallene Stützstreben, die nach oben und über die Seiten ragen wie ein Baukran. Bei dem Nebel fällt es mir auch mit dem Fernglas schwer, nähere Einzelheiten zu erkennen. Meine Digitalkamera, die ich ebenfalls mitgebracht habe, ist nutzlos.
    »Hier«, sagt Violet und reicht mir das Nachtsichtgerät. Der Regen ist so laut, dass wir unbesorgt miteinander reden. »Er schaufelt immer noch Pulver aus dem Sack ins Wasser.«
    Als Erstes suche ich mit dem Nachtsichtgerät den Strand hinter uns ab. Als wir uns aus dem Lager geschlichen haben, habe ich Violet aufgefordert, mich an der Hand zu fassen, damit alle, die uns sehen, glauben, wir wollten irgendwo vögeln. Doch sie hat mich darauf hingewiesen, dass das nicht unbedingt jeden abschrecken würde.
    Jedenfalls habe ich mich weder wie ein Mistkerl noch wie ein Sechsjähriger gefühlt, weil ich jemanden bitten musste, mich an der Hand zu fassen.
    Ich blicke mit dem Nachtsichtgerät auf den See hinaus. Im Infrarotlicht sind der Regenschauer und der Nebel noch undurchdringlicher, aber ich kann sehen, dass vorn am Boot – wie die Galionsfigur am Bug eines Schiffes – ein dicker Reifen mit starkem Profil sitzt und hinten an beiden Ecken identische Reifen befestigt sind. Neben dem vorderen Reifen befindet sich etwas, das sehr nach einer geladenen Harpunenkanone aussieht. Am Heck ist ein großer Motor montiert, der hochgeklappt ist, und ein wesentlich kleinerer, dessen Schraube noch im Wasser liegt. Das muss der Elektromotor sein.
    »Es ist ein Amphibienboot«, sage ich.
    »Ja. Tut mir leid, ich dachte, das könnte man durchs Fernglas erkennen. Was macht er gerade?«
    »Ich kann ihn nirgends sehen.«
    Über der Steuerungsanlage ist ein greller Lichtschein, vermutlich von einem Sonardisplay, aber ich sehe den Mann erst, als er sich zwischen dem Ruder und einem Behälter am Heck aufrichtet, der wie eine große eingebaute Kühlbox aussieht.

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