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Einmal durch die Hölle und zurück

Einmal durch die Hölle und zurück

Titel: Einmal durch die Hölle und zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josh Bazell
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Fische auf, die von dem Moos fressen, das wie ein feiner grüner Nebel aussieht. Doch keiner von ihnen kommt aus dem schützenden Wurzelwerk hervor. Ich frage mich, ob sie zwischen den Wurzeln durch bis zum Lake Garner schwimmen können.
    Plötzlich fängt die Taschenlampe vor mir etwas Helles, Großes ein.
    Es ist eine orangerote Granitwand. Verwirrt richte ich mich auf und trete Wasser.
    Ich habe die ganze Breite des White Lake durchschwommen, bis zur Felswand auf der anderen Seite. Zwanzig Meter vorher bin ich am Ende der Landzunge vorbeigekommen – zumindest schien es von Land aus ihr Ende zu sein. Doch unter Wasser erstreckt sie sich bis zur anderen Seite.
    Ich tauche wieder unter. Die im Wasser liegende Landzunge befindet sich etwa fünfzehn Zentimeter unter der Oberfläche. Als ich den Strahl der Taschenlampe darüber gleiten lasse, sehe ich, dass das Wurzelgewirr hier genauso breit wie am Ufer ist.
    Das heißt, der White Lake und der Lake Garner teilen sich zwar dasselbe Wasser, sind aber tatsächlich getrennt. Vielleicht nicht für die winzigen Fische, die durch den Sperrwall schwimmen, doch mit Sicherheit für jedes Tier, das groß genug ist, um einen Menschen zu fressen. Wenn sich so eine Bestie auf dieser Seite des White Lake befindet, muss es ihr vorkommen, als wäre sie in einem Weidenkörbchen gefangen.
    Gruselig. Aber wenigstens kann ich jetzt von hier verschwinden. Während ich dieselbe Strecke zurückschwimme, die ich gekommen bin, versuche ich, so selten wie möglich mit der Taschenlampe nach meinen Füßen zu leuchten.
    Trotzdem tue ich es immer wieder, und einmal sehe ich etwa einen halben Meter von meinen Knöcheln entfernt eine große graue Flosse aufblitzen. Die Haut wirkt matt wie Wildleder, sieht aber trotzdem schlammig aus.
    Meine Taucherbrille ist weg. Mein Schnorchel ist weg. Meine Taschenlampe ist weg. Ich schwimme einfach, als würde ich von einem Gebäude stürzen. Atme nicht mal. Überlege, ob ich mich mit den Händen über die im Wasser liegende Landzunge ziehen oder lieber warten soll, bis ich das richtige Ufer erreiche.
    Dann bin ich auch schon auf dem Hang der Landzunge – der echten, die oberhalb des Wassers liegt –, streife die Schwimmflossen ab, hechte die Leiter aus Wurzeln rauf, obwohl mir völlig klar ist, dass ich hart in dem Gewirr aus Dornen lande, wenn ich an Schwung verlieren oder eine Stufe nicht treffen sollte. Jedenfalls bin ich heilfroh, aus dem Wasser draußen zu sein. Ich erreiche das Gras. Einen Baumstamm. Greife nach ihm und halte mich daran fest.
    Auge in Auge mit Violet, die auf die Landzunge gekommen ist, um mich zu suchen.
    »Lionel, was ist los?«
    Ich drehe mich wieder zum Wasser um. Nichts. Es ist noch so hell, dass man die Wasseroberfläche sehen kann, doch da draußen passiert nichts, was sich nicht mit meiner durchgeknallten Zwanzig-Meter-Krauleinlage erklären ließe.
    »Hast du’s gesehen?«, frage ich.
    »Was gesehen?«
    Ich antworte nicht, sondern lasse den Blick übers Wasser schweifen.
    »Oh, Scheiße«, sagt sie.

24 Lake Garner/White Lake Boundary Waters-Kanugebiet, Minnesota
    Immer noch Mittwoch, 19 . September
    »Klopf, klopf«, sagt jemand.
    Ich lehne an einem Baum, obwohl ich mich nicht mehr erinnern kann, mich dagegen gestützt zu haben. Ohne Neoprenanzug, angekleidet, angeblich auf der Suche nach Bell, habe ich in Wirklichkeit die Gelegenheit ergriffen, von den anderen wegzukommen. Besonders von Violet, die wütend ist, weil ich ihr nicht gesagt habe, dass ich im See schwimmen will, und weil sie glaubt, ich würde ihr verheimlichen, was ich dort gesehen habe.
    Ich habe es ihr zu erklären versucht: nur weil ich was gesehen habe, heißt das nicht, dass es auch da war.
    »Wie geht’s Ihnen? Ich habe Sie gesucht.«
    Natürlich ist es Sarah Palin. Glasiger, fiebriger Blick und ein Lächeln, das mal da und mal weg ist. Einer ihrer Sicherheitsleute stellt sich mit dem Rücken zu uns unten am Ufer des Lake Garner auf.
    »Mir geht’s gut, danke«, sage ich.
    »Ich hab gehört, Sie haben es gesehen.«
    »Ich hab nichts gesehen.«
    »Wie sah es aus? War es angsteinflößend?«
    »Wie gesagt …«
    »Hat es geredet?«
    Ich starre sie an. Jegliche Hoffnung, dass Palin mir das Gefühl geben würde, zumindest vergleichsweise zurechnungsfähig zu sein, schwindet rasch. »Nein. Es hat eindeutig nicht geredet. Warum sollte es?«
    »Aber Sie haben es gesehen.«
    Ich bin kurz davor loszulachen. »Was auch immer da unten passiert ist, jedenfalls

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