Einmal durch die Hölle und zurück
Ahnung, ob bewusst [65] oder unbewusst. Es gefällt mir.
Reggies Guides backen Pfannkuchen, während wir alle darauf warten, dass sich der Nebel auflöst, verpufft oder was er sonst so macht. Geredet wird nur leise. Eine Stunde lang herrscht gedämpfte Stille im Lager, unterbrochen nur von einzelnen Vogelrufen.
Danach ertönt vom White Lake her jedoch ein Laut, als befänden wir uns in THX im Innern von Godzillas Kehle.
Natürlich kriegen alle Schiss und rennen panisch durcheinander, was ich mir aus irgendeinem Grund nur schwer ansehen kann. Stattdessen denke ich über den Zeitpunkt nach: angenommen, der Laut wurde von einem Menschen verursacht – ein Nebelhorn? Ein Laptop, der an einen Gitarrenverstärker angeschlossen wurde? – warum hat er ihn dann jetzt ausgelöst? Warum hat er uns nicht noch ein paar Tage am White Lake herumsuchen lassen, um es plausibler zu machen? Oder warum nicht gleich alles letzte Nacht hinter sich bringen?
Ich drehe mich um, um Violet nach ihrer Meinung zu fragen, aber sie und Frodo sind weg. Nicht nur weg von dem Stein, sondern aus meinem Blickfeld verschwunden. Auch wenn es mir nicht so vorkommt, als wäre genug Zeit dafür verstrichen. Aber mein Gehirn scheint sowieso gerade nicht richtig zu funktionieren. Ein Mann mit einer langen Tasche, die wie eine Gewehrtasche aussieht, kommt vorbei, doch erst, als er längst weg ist, wird mir klar, dass es Mr Fick war, dessen Gesichtszüge ich da sortiert habe. Und dass er gerannt ist.
Dann erscheint mir auf einmal das ganze
Konzept
von Zeit am Arsch zu sein. Warum sind Erinnerungen so minderwertig, dass die Erinnerung daran, wie Violet neben mir gesessen hat, wertlos erscheint im Vergleich zur tatsächlichen Erfahrung? Ich gebe zu, Fleisch ist nicht das ideale Aufzeichnungsmedium. Aber es scheint für den Anfang auszureichen, die Empfindung einzudrücken.
Zurück zu Violet. Ich vermisse diese Frau. Ich hege die seltsamsten Gefühle für sie. Als wären wir zwei Statuen, die seit fünftausend Jahren den Eingang einer Pyramide flankieren, und würden gern reingehen und vögeln.
Irgendjemand schreit: »
Nicht
, Leute!« Es ist Reggie. Stimmen erkenne ich erstaunlicherweise auf Anhieb. Teng und seine Jungs kommen vorbei. Alle auf einer Ebene, auch wenn sie nicht richtig dreidimensional sind, eher wie lebendige Papierschnitte, die auf mehrere Schichten Glas aufgeklebt wurden. Die Bäume hinter ihnen sind gefrorene Springbrunnen.
Okay
, denke ich.
Es reicht
.
Ich nehme eine Einmalspritze und eins der vier Fläschchen Anduril, die ich aus Dr. McQuillens Arzneischrank gestohlen habe, aus der Jackentasche.
Anduril ist ein Antipsychotikum aus den 60 er Jahren. Hammerhart angeblich, aber es wirkt und hat weniger Nebenwirkungen als der Mist, den Durchgeknallte heutzutage bekommen. Auch bekannt als LSD -Bremse.
Allerdings kann es den Bewegungsapparat blockieren, deshalb wird es zusammen mit einem Anti-Parkinson-Mittel verabreicht.
Davon
habe ich nur zwei Fläschchen stibitzt, aber das dürfte genügen.
Ich hätte die Spritzen vorher präparieren sollen. Jetzt eine aufzuziehen, dauert furchtbar lange. Keine Ahnung, warum ich nicht vorgesorgt habe. Und McQuillen nicht das ganze Anduril gestohlen habe. Ich muss wirklich lernen, meinen Instinkten zu vertrauen.
Schließlich kriege ich die Spritze gebacken. Da die Hose runterzulassen mir jetzt mühsamer erscheint als fünfzig Jahre Büro abzusitzen, jage ich mir die kurze Nadel durch die Jeans vorne in den Oberschenkel.
Als der Kolben durchgedrückt ist, springt die Nadel in die Spritze zurück.
Deshalb
konnte ich nichts vorbereiten – sich automatisch zurückziehende Nadel! Superraffiniert, das moderne Spritzendesign.
Wie sagte noch der Unabomber: Die Technologie bringt uns alle um, aber jeder einzelne Schritt dahin wird reizend sein. [66]
»Reggie!«, rufe ich, als ich die nächste Spritze aufziehe. »Was haben Sie gemacht, verdammt noch mal?«
Niemand antwortet.
Es ist niemand mehr da.
Aber vom White Lake her höre ich Stimmen.
Ich latsche zur Landzunge hinüber. Drei Kanus sind auf dem Wasser, Seite an Seite, von mir weggedreht im Nebel. Die Guides paddeln, ein paar Leute stehen. Ohne Gepäck reichen drei Boote für die ganze Gesellschaft.
Und ihre Gewehre.
Reggie ruft vom Ufer aus: »Nehmt die Schießeisen runter!«
Ich laufe an ihm vorbei, werfe ihm einen so bösen Blick zu, wie es die Zeit erlaubt, und sehe die Kanus von vorn.
Allein die
Vielfalt
der Waffen verblüfft mich.
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