Einmal durch die Hölle und zurück
keinen Job. Ich tu nichts. Hab nichts zu tun. Ich habe einen lächerlichen Nichtjob, den es wahrscheinlich nur noch gibt, weil der Boss scharf auf mich ist oder sich zuzugeben schämt, dass er sich vor sechs Monaten geirrt hat.«
»Ich dachte, er wäre der weltgrößte Knicker.«
»So teuer bin ich auch wieder nicht.«
»Und wenn er dich nur beschäftigt, weil er hinter dir her ist, hält er sich ja ziemlich zurück.«
»Danke für die Einschätzung. Das ist aber nicht der Punkt.«
»Sondern?«
»Dass ich mich nicht so hätte anstellen sollen wegen dir … wegen dem, was du bist. Bodyguard und Arzt oder was auch immer. Es ist schlicht Heuchelei, wenn ich so tue, als wäre ich was Besseres, besser als du. Ich bin keinesfalls besser als du. Höchstens schlechter. Wir arbeiten eben beide für Rec Bill. Und du machst etwas weit weniger Beschämendes für ihn als ich.«
»
Das
ist der Punkt?«
»Ja.«
»Violet, du
bist
besser als ich.«
»Nein.«
»Doch. Schön, dass du’s sagst, aber trotzdem. Du verzeihst dir nur nicht, dass du noch nicht darauf gekommen bist, wie du die Menschheit davon abhalten kannst, sich selbst den Garaus zu machen.«
Sie sieht mich an. »Jetzt scherzt du aber.«
»Nein.«
»Das ist wie Keanu: so seicht, dass es tiefgründig erscheint.«
»Na, wenigstens
scheint’s
so.«
»Je mehr ich drüber nachdenke, desto weniger. Vielleicht musst du deine Menschenkenntnis ein bisschen auffrischen, mein Freund. Ich will nichts weiter als die Seele baumeln lassen, und die Welt kann zum Teufel gehen.«
»Aha.«
»Spar dir dein Aha. Wie kommst du überhaupt dazu, über so was zu reden? Von dir weiß ich immer noch nichts. Warst du Kampfschwimmer? Personenschützer in Afghanistan? Hm?«
Geradezu dämlich, wie mich die Frage überrascht. Ich überspiele das mit einem Gähnen.
»Sag schon«, fordert sie.
»Nichts in der Art.«
»Sondern?«
Ich drehe mich von ihr weg. »Erzähl ich dir ein andermal.«
»Warum nicht jetzt?«
»Geht nicht.«
»Wieso nicht?«
»Ich möchte, dass du dich auch in Zukunft mit mir unterhältst.«
»Aber du hast keine Angst, dass mir die Lust dazu vergeht, weil du so blöd ausweichst?«
Das lasse ich hingehen. »Jetzt, wo du’s sagst.«
»Und jetzt tust du, als wärst du am
Einschlafen?
«
»Bin ich. Morgen früh ruft das Ungeheuer.«
»Das ist ja wohl nicht dein Ernst.«
»Schlaf gut.«
»Du weißt doch, dass ich mir dann viel schlimmere Sachen ausdenke, als du mir je erzählen könntest.«
»Darauf lasse ich’s ankommen.«
»Und als Erstes denke ich mir, dass du überhaupt keine Geheimnisse hast, sondern nur Spaß daran, die Leute vor den Kopf zu stoßen.«
»Mhm.«
»Bah. Wie kann man nur so stur sein.« Ich höre, wie sie sich auch wegdreht. »Mit dir zu reden ist wie ein Selbstgespräch.«
»Geht mir umgekehrt auch so.«
»Weil du ein Narziss bist. Gute Nacht, Dr. Azimuth.«
»Gute Nacht, Dr. Hurst.«
27 Lake Garner/White Lake Boundary Waters-Kanugebiet, Minnesota
Immer noch Donnerstag, 20 . September
Sieben Uhr dreißig, eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang, und bis jetzt hat die Sonne lediglich den Nebel zum Leuchten gebracht. Überall Nebel. Selbst der Lake Garner sieht aus, als läge er in einer Wolke. Der White Lake sieht aus wie das Vergessene Tal.
Reggie verteilt Kaffee wie an allen vier Tagen, vermutlich hatte er nicht genug anderes zu tun. Seine ernsten, geschmeidigen Führer sind zu gut. Wie alle anderen scheint es ihn nervös zu machen, dass Bell noch nicht aufgetaucht ist.
»Alles klar?«, frage ich.
»Sie meinen, ob ich mir Sorgen um Dels Köter mache? Nein. Die Töle hat sich wahrscheinlich einem Elchrudel angeschlossen.« Allerdings schickt er einen schuldbewussten Blick zu Violet und Palins Verwandter Frodo hinüber, die trostlos auf einem Stein hocken. »Mir geht’s gut. Kanufahrten, Seeungeheuer und Irre in Amphibienbooten sind halt nur nicht so mein Ding. Aber die Kanufahrt haben wir ja wenigstens halb hinter uns. Jetzt muss ich nur noch zurück.«
»Reggie, was ist mit der ganzen Jagdausrüstung passiert, die Chris junior bestellt hat und die erst nach seinem Tod ankam? Die Haken und Netze und alles?«
Er zuckt die Achseln. »Zurückgeschickt. Hätte nicht gedacht, dass ich mal hierherkomme und das gebrauchen kann.«
Ich gehe mit zwei Tassen Kaffee rüber zu Violet und Frodo, aber Frodo hat schon eine heiße Schokolade, also behalte ich eine Tasse und setze mich neben Violet. Sie lehnt sich an mich, keine
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