Einmal gebissen, total hingerissen
auf um die fünfzig und er trägt einen gut sitzenden schwarzen Smoking. Er hat sandfarbenes Haar, hohe Wangenknochen und einen
athletischen Körperbau, außerdem verströmt er eine Art von Eleganz, die den anderen hageren Gestalten in der Blood Bar fehlt. Wenn ich ich kein Foto von Maverick gesehen hätte, hätte ich darauf getippt, das ihm die Bar gehört, denn er hat etwas Besitzergreifendes, wie er mit vor der Brust verschränkten Armen dasteht und das Geschehen beobachtet. Aber obwohl er definitiv wie ein Vampir wirkt, ist er kein Trent-Reznor-Double, daher kann er nicht der böse Bube sein, nach dem wir auf der Suche sind.
Er ertappt mich dabei, dass ich ihn beobachte, und nickt mir knapp zu. Panisch senke ich den Blick. Das Letzte, was ich brauche, ist unnötige Aufmerksamkeit.
»Haben Sie einen Termin?« Hinter mir erklingt eine
schwüle Frauenstimme und ich drehe mich um. Eine
hochgewachsene, kurvenreiche Frau mit taillenlangem
schwarzem Haar sieht mich, ein Klemmbrett in den
Händen, mit ihren riesigen violetten Augen erwartungsvoll an. Sie trägt ein dunkelrotes Miedertop und einen langen, seidigen schwarzen Rock, der wirklich alt sein muss, sonst hätte ich sie sofort gefragt, wo sie ihn her hat.
»Ich, ähm, nehmen Sie hier auch Leute ohne Termin
dran?«, stammle ich, aus dem Konzept gebracht.
Sie runzelt die Stirn. »Das tun wir gewiss nicht.«
»Hm, gut. Weil ich, ähm, nämlich einen Termin habe.« Ich blinzle auf ihren Terminblock. Ein Glück, dass ich hervorragend sehe. »Ich bin Jane Smith.«
Sie blickt auf ihr Klemmbrett. »Meinen Sie James Smith?«
Hm. Vielleicht wird es doch Zeit, mal zum Augenarzt zu gehen. »Ja, das bin ich. James Smith. Böse Eltern, die eigentlich einen Jungen wollten. Wie dem auch sei, ich nenne mich jetzt Jane. Zumindest nennen meine Freunde mich so. Wollen Sie meine Freundin sein? Ich brauche
nämlich mehr Freunde. Leute, die mich Jane nennen.«
Sie verdreht die stark geschminkten Augen. Ich weiß, dass sie mir nicht glaubt, aber es ist mir gelungen, sie gerade genug zu verärgern, um in ihr das Bedürfnis zu wecken, mich loszuwerden. Was übrigens auch eine gute Strategie ist, mit Lehrern umzugehen. Funktioniert jedes Mal.
»Schon, schön. James. Jane. Wie auch immer. Sie sind in Raum sechs.« Sie deutet auf die Wand auf der gegenüberliegenden Seite des Raums. »Hinter diesen
Vorhängen.«
Ich schlucke. Das ist es. Ich bedanke mich, gehe durch den Raum und ziehe die schweren Samtvorhänge beiseite.
Dahinter befinden sich zehn nichtssagende Türen, eine jede mit einer Nummer ausgestattet. Ich suche Raum sechs und schlüpfe hinein. Der Raum ist dunkel und hat keine Fenster.
Die Wände sind schwarz gestrichen und saugen daher selbst das schwache Licht auf, das einige wenige Kerzen im Raum verströmen. In der Mitte befindet sich ein großes Himmelbett mit schwarzer Wäsche. Selbst auf dem Boden liegt ein kohlefarbener Teppich. Vielleicht schwärzen sie ihn, damit man die Blutflecken nicht so leicht sieht. Bei dem Gedanken wird mir ein wenig schwummerig und ich schließe die Tür hinter mir und ziehe mich auf einen
Holzstuhl zurück. Was habe ich mir da eingebrockt? Das Ganze ist total unheimlich und ich bin nicht nur auf Besuch hier.
Plötzlich wird mir die Gefährlichkeit meiner Situation bewusst. Ich bin ganz allein in einer Blood Bar für Vampire auf der falschen Seite der Stadt. Und niemand (abgesehen von Spider, und ihren Rettungsfähigkeiten vertraue ich nicht besonders) weiß, wo ich bin.
Manch einer würde vielleicht sagen, dass dies eine üble Situation ist. Schließlich habe ich keinen Plan. Keine Ahnung, was ich tun soll, jetzt, da ich hier bin. Was, wenn ich mich wirklich von irgendeinem hergelaufenen, griesgrämigen Vampir aussaugen lassen muss? Was, wenn ich mir eine schreckliche Krankheit einfange? Was, wenn ich mich anstecke, bloß indem ich hier sitze? Können wir sagen, ganz schön blöd, Rayne?
Ich hole tief Luft und führe mir noch einmal vor Augen, was Mr Teifert mir gesagt hat. Die Vampire hier sind alle auf Krankheiten getestet. Es ist alles in Ordnung. Ich bin sicher. Zumindest davor. Und für den Fall, dass mir irgendetwas gefährliches zustößt, habe ich meinen Pfahl.
Ich greife in meine Tasche, betrachte das Stück unfertigen Holzes, dann seufze ich und stecke es wieder weg.
Traurigerweise fühle ich mich kein bisschen sicherer.
Ich bin immer noch da. Nach fünfundvierzig Minuten
Wartezeit ist mein Angstlevel ganz
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