Einmal ist keinmal
schrie etwas und fuchtelte mit den Armen. Wegen meines laut knatternden Auspuffs konnte ich nicht hören, was sie schrie, aber dafür konnte ich es ihr von den Lippen ablesen. »STELL DAS AB!« schrie sie. »STELL DAS AB!«
»’tschuldigung!« schrie ich zurück. »Der Auspuff ist kaputt.«
»Das mußt du reparieren lassen. Ich habe dich schon vier Straßen weiter kommen hören. Bei dem Krach kriegt die alte Mrs. Ciak noch Herzjagen.« Sie musterte mit zusammengekniffenen Augen meinen fahrbaren Untersatz. »Hast du den Wagen neu spritzen lassen?«
»Das ist mir in der Stark Street passiert. Vandalen.« Ich schob sie rasch in die Diele, bevor sie die Aufschrift entziffern konnte.
»Mensch, was für tolle Knie«, sagte Grandma Mazur und bückte sich, um sich meine blutigen Schrammen genauer anzusehen. »Letzte Woche im Fernsehen, ich glaubte, es war in der Oprah-Winfrey-Show, da war eine Gruppe von Frauen im Studio, die hatten auch solche Knie. Sie haben gesagt, sie müßten ständig auf den Knien rumrutschen. Das habe ich bis heute nicht verstanden.«
»Herrschaftszeiten«, knurrte mein Vater hinter seiner Zeitung. Mehr brauchte er nicht zu sagen. Wir verstanden ihn auch so.
»Das kommt nicht vom Rumrutschen«, sagte ich zu Grandma Mazur. »Ich bin mit meinen Roller Blades hingefallen.« Die kleine Lüge machte mir nichts aus. Ich war sowieso berühmt für unglückselige Mißgeschicke.
Ich warf einen Blick ins Eßzimmer. Die gute Spitzendecke lag auf dem Tisch. Besuch. Ich zählte die Gedecke. Fünf. Ich verdrehte die Augen. »Ma, du hast doch nicht etwa…?«
»Was?«
Es klingelte an der Haustür, und meine schlimmsten Befürchtungen wurden wahr.
»Wir bekommen Besuch, das ist alles«, sagte meine Mutter und ging zur Tür. »Ich kann mir doch in mein eigenes Haus Gäste einladen, wann ich will.«
»Es ist Bernie Kuntz«, sagte ich. »Ich sehe ihn durchs Dielenfenster.«
Meine Mutter blieb stehen und stemmte die Hände in die Hüften. »Und was hast du gegen Bernie Kuntz einzuwenden?«
»Zum Beispiel, daß er ein Mann ist.«
»Ich weiß ja, daß du eine schlechte Erfahrung gemacht hast. Aber das muß doch noch lange nicht das Ende vom Lied sein. Sieh dir deine Schwester Valerie an. Sie ist seit zwölf Jahren glücklich verheiratet und hat zwei reizende kleine Mädchen.«
»Mir reicht’s. Ich haue ab. Ich verschwinde durch die Hintertür.«
»Es gibt Ananasauflauf«, sagte meine Mutter. »Du verpaßt den Nachtisch, wenn du jetzt gehst. Und glaub ja nicht, daß ich dir eine Portion aufhebe.«
Meine Mutter schreckt auch vor Gemeinheiten nicht zurück, solange sie der Meinung ist, daß sie einem guten Zweck dienen. Sie wußte, daß sie mich mit dem Ananasauflaufködern konnte. Für einen guten Nachtisch würde jedes Mitglied der Familie Plum einiges in Kauf nehmen.
Grandma Mazur starrte Bernie an. »Wer sind Sie?«
»Ich bin Bernie Kuntz.«
»Was wollen Sie?«
Bernie scharrte verlegen mit den Füßen.
»Ich bin zum Abendessen eingeladen«, sagte er.
Grandma Mazur hatte die Fliegendrahttür immer noch nicht aufgemacht. »Helen«, rief sie über ihre Schulter. »Hier steht ein junger Mann vor der Tür. Er sagt, er ist zum Essen eingeladen. Wieso weiß ich nichts davon? Jetzt habe ich so ein altes Kleid an. In diesem Kleid kann ich doch keinen Männerbesuch empfangen.«
Ich kannte Bernie, seit er fünf war. Ich war mit ihm zur Grundschule gegangen. Von der ersten bis zur dritten Klasse hatten wir immer die Mittagspause zusammen verbracht, und noch heute fielen mir beim Namen Bernie Kuntz als erstes Erdnußbutter- und Geleebrote ein. An der High-School hatte ich ihn aus den Augen verloren. Ich wußte, daß er studiert hatte und zurückgekommen war, um im Geschäft seines Vaters Elektrogeräte zu verkaufen.
Er war mittelgroß und mittelbreit, inklusive Babyspeck, den er nie ganz losgeworden war. Er hatte sich fein gemacht, blank gewienerte Slipper mit Troddeln, schicke Hose und Sportjackett. Anscheinend hatte er sich seit der sechsten Klasse nicht sehr verändert. Er sah immer noch so aus, als ob er keine Brüche addieren könnte, und der Schieber an seinem Reißverschluß stand hoch, so daß sich an seinem Hosenschlitz ein kleines Zelt bildete.
Wir setzten uns an den Tisch und konzentrierten uns aufs Essen.
»Bernie verkauft Elektroartikel«, sagte meine Mutter, während sie den Rotkohl herumreichte. »Er verdient gutes Geld damit. Er fährt einen Bonneville.«
»Man stelle sich vor, einen
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