Einmal ist keinmal
preißelbeerrot.
Ich lief um den Tisch und nahm Grandma Mazur vorsichtig die Waffe aus der Hand. Dann schüttelte ich die Patronen aus der Trommel und packte meine Siebensachen wieder in die Tasche.
»Seht euch den kaputten Teller an«, sagte meine Mutter. »Der gehörte zum Service. Wo soll ich denn nur wieder einen neuen herbekommen?« Sie schob den Teller zur Seite, und wir starrten schweigend auf das kreisrunde Loch in der Tischdecke und auf die Kugel, die sich in die Mahagoniplatte gebohrt hatte.
Grandma Mazur fand als erste die Sprache wieder. »Schießen macht hungrig«, sagte sie. »Reicht mir mal die Kartoffeln rüber.«
*
Alles in allem hatte Bernie Kuntz den Abend gut überstanden. Er hatte sich nicht in die Hose gemacht, als Grandma Mazur dem Hähnchen ins Gesäß schoß. Er hatte zwei Portionen vom berüchtigten Rosenkohleintopf meiner Mutter bewältigt. Und er war einigermaßen nett zu mir gewesen, obwohl kein Zweifel daran bestand, daß wir nie zusammen unter eine Decke schlüpfen würden, und obwohl meine Familie verrückt war. Sein Motiv für so viel Freundlichkeit lag auf der Hand. Ich war eine Frau, der es an Elektrogeräten mangelte. Romantik ist gut für ein paar vertrödelte Abendstunden, aber bei florierendem Geschäft fällt schon mal ein Urlaub auf Hawaii ab. Er wollte verkaufen, ich wollte kaufen, und gegen die zehn Prozent Rabatt, die er mir anbot, hatte ich auch nichts einzuwenden. Als Belohnung für den verkorksten Abend hatte ich immerhin etwas Neues über Ziggy Kulesza erfahren. Er kaufte sein Fleisch bei Sal Bocha, einem Mann, der mehr wegen seiner Wettgeschäfte als seiner fachmännischen Fähigkeiten bekannt war.
Ich merkte mir diese Information für später. Momentan kam sie mir nicht wichtig vor, aber vielleicht war sie ja später noch von Bedeutung.
Als ich wieder zu Hause war, setzte ich mich mit einem Glas Eistee und Morellis Akte an den Tisch und versuchte, mir einen Schlachtplan zurechtzulegen. Ich hatte Rex eine Schüssel Popcorn gemacht. Die Schüssel stand neben mir auf dem Tisch, und Rex saß in der Schüssel, die Backen mit Popcorn vollgestopft. Seine Augen leuchteten, und seine Schnurrhaare waren kaum zu sehen, so schnell bewegten sie sich.
»Na, Rex«, sagte ich. »Was meinst du? Glaubst du, wir können Morelli schnappen?«
Da klopfte es an der Wohnungstür. Rex und ich saßen völlig reglos da, nur unser inneres Radar summte. Ich erwartete keinen Besuch. Bei meinen Nachbarn handelte es sich zum größten Teil um ältere Herrschaften. Mit niemanden stand ich auf besonders freundschaftlichem Fuß. Ich konnte mir jedenfalls nicht vorstellen, daß einer von ihnen abends um halb zehn an meine Tür klopfte. Höchstens Mrs. Becker aus dem zweiten Stock. Sie vergaß manchmal, wo sie wohnte.
Es klopfte noch einmal. Rex und ich drehten die Köpfe zur Tür. Es war eine schwere Eisentür mit Sicherheitsspion, einem Riegel und einer zweifach verstärkten Vorlegekette. Bei schönem Wetter ließ ich meine Fenster Tag und Nacht offenstehen, aber die Tür schloß ich immer ab. Hannibal und seine Elefanten wären nicht durch meine Wohnungstür gekommen, aber durch meine Fenster konnte jeder Vollidiot eindringen, der imstande war, eine Feuerleiter hinaufzusteigen.
Ich legte den Spritzschutz meiner Bratpfanne auf die Popcornschüssel, damit Rex nicht herausklettern konnte, und ging nachsehen. Als ich vor der Tür stand, hörte das Klopfen auf. Ich drückte ein Auge auf den Spion und sah nichts. Jemand hielt das Guckloch zu. Kein gutes Zeichen. »Wer ist da?« rief ich.
Ein leises Lachen, das durch die Ritzen drang, ließ mich ein paar Schritte zurückweichen. Auf das Lachen folgte nur ein einziges Wort: »Stephanie.«
Diese Stimme mit dem melodischen, höhnischen Klang war nicht zu verwechseln. Sie gehörte Ramirez.
»Ich will mit dir spielen, Stephanie«, säuselte er. »Hast du Lust zum Spielen?«
Ich bekam weiche Knie, und in mir stieg eine irrationale Angst auf. »Verschwinde, oder ich rufe die Polizei.«
»Du kannst doch überhaupt nicht telefonieren, du Flittchen. Dein Apparat ist tot. Das weiß ich genau, weil ich selber schon probiert habe, bei dir anzurufen.«
Meine Eltern haben nie begriffen, warum mir soviel an meiner Unabhängigkeit liegt. Sie sind überzeugt davon, daß ich mich die meiste Zeit verängstigt und einsam in meiner Wohnung verkrieche. Ich kann ihnen erzählen, was ich will, sie glauben mir nicht. Dabei habe ich fast nie Angst. Höchstens ab und
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