Einmal ist keinmal
Nein, das wäre viel zu einfach.
Was soll’s? dachte ich. Warum nicht? Ein Versuch konnte jedenfalls nicht schaden. Weil ich die Seite mit der Adresse des Studios vor ein paar Tagen aus dem Telefonbuch gerissen hatte, mußte ich zuerst die Auskunft anrufen. Ich bedankte mich für die Nummer und rief im Studio an. Dem Mann, der sich meldete, sagte ich, daß ich mit Benito verabredet sei, aber leider seine Adresse verloren hätte.
»Die kann ich Ihnen geben«, sagte er. »320, Polk Street. Die Nummer des Apartments weiß ich nicht, aber es liegt im ersten Stock. Am Ende vom Flur. Sein Name steht an der Tür. Nicht zu übersehen.«
»Danke«, sagte ich. »Sehr verbunden.«
Ich schob das Telefon weg und beugte mich wieder über den Stadtplan, um die Polk Street zu suchen. Sie war nur drei Straßen vom Boxstudio entfernt und verlief parallel zur Stark Street. Ich kringelte sie mit gelbem Leuchtstift ein. Nun hatte ich zwei Stellen, wo ich nach dem Lieferwagen suchen konnte. Wenn es sein mußte, würde ich zu Fuß umherstreifen und nicht in dunkle Gassen und Garagen wagen. Das war mein Plan für den nächsten Vormittag. Wenn nichts dabei herauskam, wollte ich mir den nächsten Kautionsflüchtling aus Connies Stapel vornehmen. Mit so einem Kleinkleckerfall konnte ich wenigsten ein bißchen Geld für die Miete verdienen.
Nachdem ich mich zweimal vergewissert hatte, daß alle Fenster verriegelt waren, zog ich die Vorhänge zu. Ich wollte noch duschen und dann ins Bett gehen. Auf einen Überraschungsbesuch hatte ich keine Lust mehr.
Ich räumte mein Apartment auf und versuchte dabei, nicht auf die leeren Stellen zu achten, wo früher die Elektrogeräte gestanden hatten. Auch die Abdrücke der Phantommöbel auf dem Wohnzimmerteppich ignorierte ich eisern. Die zehntausend Dollar für Morelli konnte ich gut gebrauchen, um mein Leben wieder einigermaßen in den Griff zu kriegen, aber an sich war die Kopfgeldjägerei nur eine Überbrückungsmaßnahme. Eigentlich sollte ich gleichzeitig nach einem anständigen Job suchen.
Warum redete ich mir das noch ein? Ich hatte doch längst alle Brücken hinter mir abgebrochen.
Ich konnte bei der Kopfgeldjägerei bleiben, aber selbst wenn alles gut lief, war die Arbeit ein riskantes Spiel. Wenn aber etwas schiefging… Daran wollte ich gar nicht erst denken. Ich würde mich nicht nur damit abfinden müssen, bedroht, gehaßt, belästigt, verletzt oder gar getötet zu werden, sondern ich würde mich auch daran gewöhnen müssen, freiberuflich tätig zu sein. Außerdem blieb mir gar nichts anderes übrig, als Kampfsportarten zu lernen und mir polizeiliche Techniken für die Festnahme von Straftätern anzueignen. Ich mußte ja nicht gleich zum Terminator werden, aber weiter so aufs Geratewohl vor mich hin wursteln wollte ich auch nicht. Wenn ich noch einen Fernsehapparat besessen hätte, hätte ich mir Wiederholungen von Cagney und Lacey ansehen können.
Mir fiel ein, daß ich noch einen zweiten Riegel an der Wohnungstür anbringen lassen wollte, und ich beschloß, Dillon Ruddick, dem Hausmeister, einen Besuch abzustatten. Dillon und ich waren Freunde, was daran lag, daß wir so ziemlich die einzigen Menschen im ganzen Haus waren, die Metamusil nicht für einen der größten Lebensmittelmultis des Landes hielten. Dillon bewegte die Lippen, wenn er die Comicseite in der Zeitung las, aber man brauchte ihm bloß ein Werkzeug in die Hand zu drücken, und schon verwandelte er sich in ein echtes Genie. Er wohnte im Souterrain in einer Einzimmerwohnung, in die nie ein Sonnenstrahl fiel. Die ständige Geräuschkulisse wurde von rumorenden Heizkesseln und gurgelnden Wasserleitungen gebildet. Dillon behauptete, der Lärm störe ihn nicht. Er redete sich einfach ein, es wäre das Meer.
»’n Abend, Dillon«, sagte ich, als er mir aufmachte. »Wie geht’s?«
»Gut geht’s. Kann nicht klagen. Na, wo brennt’s?«
»Ich habe Angst vor Einbrechern, Dillon. Ich hätte gern noch einen zweiten Riegel an der Wohnungstür.«
»Gute Idee«, sagte er. »Man kann nie vorsichtig genug sein. An Mrs. Lugers Tür habe ich auch gerade einen neuen Riegel angebracht. Sie hat gesagt, vor ein paar Nächten hätte ein Kerl wie ein Schrank im Hausflur rumkrakeelt. Angeblich wäre sie vor Schreck fast gestorben. Vielleicht hast du ihn auch gehört. Mrs. Luger wohnt ja fast neben dir.«
Um ein Haar hätte ich mich verraten. Ich wußte, wie der Schrank hieß.
»Wenn ich es schaffe, kriegst du morgen deinen
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