Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal Paradies und zurück

Einmal Paradies und zurück

Titel: Einmal Paradies und zurück Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Carroll
Vom Netzwerk:
und auf der Frisierkommode thront, neben meinem Glätteisen. Kate sieht aus wie eine junge, glamouröse Fergie, die roten Haare elegant hochgesteckt, groß, schlank und hinreißend, während ich wie eine kleinere, sommersprossige Version von ihr wirke, in einem lindgrünen Brautjungfernkleid (keine gute Farbe für Rothaarige, glaubt mir!) aus einem Material, das einen an den Hitzeschild von Spaceshuttles erinnert.
    Ich versuche, den Rahmen in die Hand zu nehmen. Ohne Erfolg. Es ist das Gleiche wie vorhin, meine Hand gleitet einfach durch den Gegenstand hindurch. Ich fühle auch nichts. Zögernd nähere ich mich dem Spiegel auf dem Frisiertisch und schaue vorsichtig hinein. Nichts, keine Reflexion, obwohl ich genau davorstehe. Ich winke, hüpfe auf und ab, strecke mein Gesicht direkt vor die Spiegelfläche.
    Wieder nur ein dickes fettes Nichts.
    Das ist es dann also, denke ich.
    Ich bin wirklich tot.
    Ich meine, eigentlich wusste ich das ja schon, aber erst hier kapiere ich es richtig. Ein Teil von mir möchte am liebsten die Notbremse ziehen und mich hier rauskatapultieren lassen oder in einer Raum-Zeitmaschine verschwinden. Aber der andere Teil ist, na ja … ehrlich gesagt, ein bisschen neugierig. Ich meine, ich bin ja nicht beleidigt hier ausgezogen oder so. Nein, ich bin
gestorben
.
    All die Dinge, die ich tun wollte und zu denen ich nie gekommen bin. Zum Beispiel ein Baby kriegen. Eine Zugfahrt durch Indien machen. Meine Schulden zurückzahlen. Endlich einen Roman schreiben. Johnny Depp kennenlernen. Dann denke ich an die Zeit, die ich damit verschwendet habe, mir über allen möglichen Scheiß Sorgen zu machen. Ob ich noch in meine engen Jeans passe. Ob Prinz William eine Glatze bekommt. Ob in Dublin jemals ein IKEA aufmacht.
    O mein Gott, ich frage mich, wie meine Beerdigung war. Wenn ich ehrlich bin, interessiert mich hauptsächlich, ob James da war und geweint hat. Oder hat er vielleicht sogar eine Rede gehalten? Den Heiligen gespielt und allen erzählt, dass das Leben jetzt, wo ich tot bin, für ihn eigentlich auch vorbei ist? Nach fünf Jahren Beziehung muss er doch irgendwas empfunden haben oder … war der Mistkerl an dem Abend mit seiner neuen Freundin hier und hat eine Flasche Châteauneuf-du-Pape aufgemacht?
    Dann muss ich an Mum denken, und auf einmal möchte ich unbedingt bei ihr sein. Das alles ist bestimmt schwer für sie. Ich will mir lieber gar nicht vorstellen, wie es ihr jetzt geht. Und die arme Kate, die eine Woche freinehmen musste, als der Tierarzt ihren Labrador eingeschläfert hat … wie verkraftet sie die Situation? Und Fiona … ach Mist. Wisst ihr, was? Ich muss hier weg. Auf der Stelle. Ich muss sie alle wissen lassen, dass es mir gutgeht, dass ich Dad gesehen habe, dass bei ihm alles in Ordnung ist und dass ich alles Erdenkliche tun werde, damit ich möglichst viele kleine Wunder vollbringen kann.
    Nur bin ich jetzt auf der anderen Seite des Zauns.
    Entschlossen schreite ich zur Tür, greife nach der Klinke, und … meine Hand geht einfach durch. Ich versuche es erneut, aber keine Chance. Ehrlich, es ist, wie wenn man mit dem Messer durch weiche Butter glitscht.
    Ach du Kacke, bedeutet das jetzt, dass ich hier festsitze, bis James auftaucht und mich wieder rauslässt?
    Wie aufs Stichwort ertönt unter dem Daunendeckenberg ein tiefes Brummen: »Scheiße, ist es echt schon wieder Morgen?«, und ich springe vor Schreck fast an die Decke.
    Ich kann es nicht glauben, er ist tatsächlich hier! Im gleichen Raum wie ich! Mein Herz rast, und dann fällt es mir wieder ein – er kann mich nicht sehen. Ich bin die unsichtbare Frau!
    Zur Salzsäule erstarrt beobachte ich, wie zuerst eine Faust unter dem Deckenberg hervorkommt und dann ein Kopf mit wild zu Berge stehenden Haaren. Ihr müsstet ihn sehen: total zerknittert und zerzaust, die Augen blutunterlaufen.
    Gut so.
    Er schaut sich um und angelt den Wecker vom Nachttisch. Kurz nach elf. Durchaus noch im Rahmen seiner normalen Aufstehzeit. Er stellt den Wecker wieder an seinen Platz, lässt sich aufs Kissen zurückplumpsen und reibt sich die Augen. Eine Geste, die ich schon tausendmal gesehen habe, aber in diesem Augenblick stockt mir buchstäblich der Atem. Ich komme mir vor wie ein Eindringling. Wie bei einer Theatervorstellung. Dann sieht James mir plötzlich ganz direkt ins Gesicht, starrt genau auf die Stelle, wo ich immer noch wie angewurzelt stehe. Neben dem Bett, auf meiner Seite.
    »Mist«, flüstert er.
    Er sieht mich!
    »Ich

Weitere Kostenlose Bücher