Einmal Paradies und zurück
bin so verflucht spät dran«, murmelt er, hievt sich aus dem Bett und greift sich eine der Unterhosen, die auf dem Boden herumliegen, dicht neben mir.
Nein, er sieht mich nicht.
Als Nächstes ist er auch schon zur Tür hinaus und stolpert die schmale Treppe hinunter, zieht den Kopf ein, um nicht an die Balken zu stoßen, und geht in unser, pardon,
sein
sensationelles Wohnzimmer mit dem sensationellen Blick über den Sandymount-Strand. Vorausgesetzt natürlich, es gibt nicht zu viel Verkehr, denn sonst sieht man stattdessen nur eine Schlange von lauter Zehntonnern. Aber das Verkehrschaos interessiert mich momentan nicht, ich finde das Chaos, das hier herrscht, wesentlich beunruhigender. Es sieht aus wie in einer Kneipe, wenn nach einer langen Nacht noch nichts aufgeräumt ist. Überall leere Flaschen auf dem Boden, und ich denke: Wen hatte James gestern Abend hier zu Besuch? Metallica?
Auf dem Couchtisch streiten sich Drehbücher und leere Pizzaschachteln um den ohnehin knappen Platz, aber James schafft es irgendwie, aus dem Getümmel eine halbe Packung Marlboro auszugraben, und zündet sich eine an.
Nach draußen, James! Du weißt doch, dass im Haus nicht geraucht wird!
Also wirklich. Ich versuche tatsächlich, von der anderen Seite des Grabes an ihm rumzunörgeln.
Dann klingelt sein Handy, und ich muss fast lachen, wie er in dem wüsten Durcheinander auf seinem Schreibtisch herumwühlt, in der festen Überzeugung, dass es hier zu finden ist.
Es liegt auf dem Kamin, du Dummi!
Schließlich entdeckt er das Telefon und geht dran. Es ist sein Geschäftspartner Declan, und obwohl ich nur eine Seite des Gesprächs mitkriege, vermute ich, dass es um ein Finanzmeeting geht, das James soeben verschlafen hat. Er lässt sich auf die Couch fallen, inhaliert bis in die Zehen und hört schweigend zu, während der arme Declan ihm das Ohr abkaut.
Vielleicht sollte ich ein paar Dinge erklären, die man zu James’ Beziehung zu seinem Job wissen sollte.
Seine Produktionsfirma heißt Meridius Movies, nach Maximus Meridius, der Hauptperson aus
Gladiator
. (Russell Crowe ist für James ein wichtiges Rollenvorbild.)
James macht seine Arbeit alles andere als schlecht, und in der Vergangenheit hatte er schon einige Hits, hauptsächlich weil er das Madonna-Prinzip anwendet, das heißt: Umgib dich stets mit den talentiertesten Menschen, die in der Branche arbeiten, dann hast du gut lachen. Mit Declan beispielsweise, der brillant ist, einen anspruchvollen Geschmack hat und am liebsten die Art von Fernsehserien produziert, bei denen man fürs Zuschauen eigentlich ein Uni-Diplom kriegen müsste. Außerdem ist er ein extrem netter Mensch, und ich hab sogar einmal versucht, ihn mit Fiona zu verkuppeln. Sie hat ihn abgewiesen, weil seine Haut sie an eine topographische Landkarte der Alpen erinnert und weil seine Brüste größer sind als ihre. Ziemlich wählerisch, aber keine Angst, einen Mann für sie zu finden steht ganz oben auf meiner Liste der Wunder, die ich zu vollbringen gedenke.
James geht immer davon aus, dass die Arbeit eines Produzenten vergleichbar ist mit der eines Klempners. Wenn man den Job gut macht, bemerkt es keiner. Wenn man ihn schlecht macht, stecken am Ende alle in der Scheiße.
Beim Filmen lautet sein Motto: »Wenn weniger mehr ist, dann überlegt mal, wie viel mehr dann mehr wäre.« Und wenn er
nicht
filmt, ist sein Motto: »Lebe schnell und hart, stirb jung.«
Während ich dagegen der stabilisierende Faktor der Beziehung war, der donnerstagabends schön früh mit warmen Puschen und Pyjama vor dem Fernseher sitzt. Und trotzdem bin ich als Erste gestorben. Wie unfair ist das denn?
»Declan, hör zu«, knurrt James jetzt ins Telefon, stößt eine Rauchwolke aus, beugt sich vor und ascht in den leeren Pizzakarton.
Ekelhaft!
»Es war echt schwer für mich in den letzten Tagen, mit Charlotte und allem …«
Ich halte die Luft an. Dieses seltsame, faszinierende Gefühl, ein Gespräch zu belauschen, in dem es um einen selbst geht.
Declan sagt etwas, was ich natürlich nicht hören kann, aber es muss wohl etwas Mitfühlendes sein.
»… danke, ja, danke, Mann. Ist echt hart für mich ohne sie … vermutlich stehe ich immer noch unter Schock … ja, du hast recht … die Zeit heilt alle Wunden, ich weiß … aber, Mann, ich hoffe echt, dass du so was niemals erleben musst. Das wünsch ich nicht mal meinem schlimmsten Feind. Man merkt erst, wie viel einem ein Mensch bedeutet, wenn man ihn im Krankenhausbett
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