behalten kann, ohne dass es auffällig wirkt. Ich sitze ihr gegenüber, und obwohl ausreichend dokumentiert ist, dass ich ihre Männersuche im Internet nicht billige, hoffe und bete ich jetzt, dass der Schäferhundfan pünktlich auftaucht, dass er attraktiv, gutaussehend, reich und außerdem noch nett zu seiner Mum ist und nicht irgendein Spinner, der gern Hühnern den Kopf abreißt und bei Vollmond nackt auf der Wiese tanzt.
20 Uhr 05
Fiona studiert die Speisekarte, aber jedes Mal, wenn die Tür aufgeht, reißt sie den Kopf so ruckartig hoch, als wollte sie sich ein Schleudertrauma zuziehen, und in ihren Augen erscheint ein Blick so voller Hoffnung, dass es mir fast das Herz bricht.
Bitte, bitte, bitte, mach, dass sie ihn einfach umwerfend findet. Und dass er nett ist, einfühlsam und rücksichtsvoll. Und kein Internetspinner, der am liebsten flotte Dreier mag oder in seinem Keller Folterwerkzeuge und Peitschen und solches Zeug sammelt.
Übrigens ist Letzteres keine ganz unbegründete Sorge, denn Fiona hatte einmal eine Beziehung mit einem Typen, den sie ebenfalls im Netz kennengelernt hat, ein Geschichtsprofessor am Trinity College, etwas älter, geschieden, mit erwachsenen Kindern und Fiona zufolge vom Äußeren her ein Doppelgänger von Michael Palin. Geradezu himmlisch, sollte man meinen. Nur dass das Leben manchmal einfach nicht hält, was es verspricht. Die beiden hatten ein paar absolut zivile Verabredungen, Dinner, Theater, lange Spaziergänge in den Powerscourt Gardens, alles einwandfrei, Fiona fragte sich immer nur, wann der Typ seinen ersten Annäherungsversuch machen würde. Einen Monat später hatte er immer noch keinen Finger gerührt, nicht mal ein Küsschen, gar nichts.
Bis er sie eines schicksalhaften Abends zum Essen in seine Junggesellenbude einlud. Die genauso aussah, wie man sich die Wohnung eines Geschichtsprofessors vorstellt: ein frühviktorianisches Stadthaus, das gerade noch von den Tapeten zusammengehalten wurde, überall verstaubte Erstausgaben. »Soll ich dich rumführen?«, fragte er höflich.
»Aber gern«, antwortete Fiona mit einem einfältigen Lächeln und überlegte im Stillen, ob das womöglich ein ungeschickter Trick war, sie, sobald sie das Schlafzimmer erreichten, aufs Bett zu werfen. Was für sie absolut in Ordnung gewesen wäre. Ich meine, nachdem ihr dieser Mann vier Wochen den Hof gemacht hatte wie einer Brontë-Heldin, spielten ihre Hormone allmählich verrückt. So weit, so gut – bis sie in den Keller kamen. Der aus einem einzigen riesigen Raum bestand, mit großen Tischen, auf denen mit Tausenden winziger Zinnsoldaten lauter Szenen aus dem Kampf um Waterloo nachgestellt waren. Vor Verwunderung beging Fiona den fatalen Fehler, ihre Handtasche aus Versehen auf einer Gruppe Zinnsoldaten abzustellen und die Szene »acht Uhr bis acht Uhr dreißig, Mont Saint Jean« komplett zu ruinieren, was den Professor so in Wut versetzte, dass sie schon Angst bekam, er hätte einen Schlaganfall.
Ich muss wohl nicht erwähnen, dass sie nie wieder ein Wort von ihm hörte, aber ich hatte ziemlichen Spaß dabei, zu spekulieren, was wohl seine weiteren Absichten gewesen sein mochten.
8 Uhr 10
Weißt du was, Gott? Ich ändere mein Stoßgebet. Bitte mach, dass der Schäferhundfan auftaucht. Damit wäre ich schon zufrieden.
8 Uhr 15
Immer noch keine Spur von dem Kerl, und allmählich wird Fiona nervös. Das erkenne ich daran, wie sie die Speisekarte immer wieder von vorn nach hinten und von hinten nach vorn durchblättert. Sie bestellt einen Cappuccino, zieht dann ihren BlackBerry aus der Tasche und fängt an rumzuklicken. Vermutlich tut sie so, als schaue sie nach Mails.
»Gott segne das Handy«, sage ich zu ihr. »Die ultimative Rüstung, wenn man allein im Restaurant rumsitzt.« Dann schaue ich über ihre Schulter und sehe, was sie macht.
Sie schreibt an mich!
Von:
[email protected] An:
[email protected] Liebste Charlotte,
ich bin’s. Schon wieder. Ich weiß, ich weiß, du kannst das hier gar nicht lesen. Natürlich ist mir das klar, und denk jetzt bitte nicht, dass ich übergeschnappt bin, weil ich dir dauernd maile und dir die ganzen YouTube-Links schicke. Vermutlich kann ich mich einfach nicht von der Hoffnung verabschieden, dass du das Zeug irgendwann, irgendwo doch mal zu Gesicht kriegst. Und wer weiß? Vielleicht hast du dann ja sogar Spaß dran. Außerdem habe ich auf diese Art das Gefühl, mit dir in Kontakt zu bleiben, trotz allem,