Einmal Paradies und zurück
was passiert ist. Obwohl ich betonen möchte, dass ich dir den Rick-Astley-Link mit »Never Going To Give You Up« rein ironisch gebrochen geschickt habe.
Manchmal ist Fiona so oberschlau, und ich denke nur: »Aha.«
Aber dann lese ich weiter über ihre Schulter.
… ich vermisse dich so, dass es körperlich weh tut. Und ich vergesse immer wieder, dass ich dich nicht einfach anrufen kann. Wenn du wüsstest, wie oft schon irgendwas Komisches in der Schule passiert ist und ich gedacht habe: Oh, das muss ich Charlotte erzählen! Neulich hat zum Beispiel eine Schülerin ihren Taschenrechner für die Mathearbeit vergessen. Sie ruft ihre Mutter an und sagt, sie soll ihn so schnell wie möglich in die Schule bringen. Und in der Eile rückt die arme Frau mit der Fernbedienung vom DVD -Player an! Im Lehrerzimmer haben sich alle totgelacht, und ich dachte, wenn Charlotte das hört, wird sie sich ausschütten. Und dann ist mir wieder eingefallen, was passiert ist. Na ja – aber trotzdem mit dir in Kontakt zu bleiben, macht alles irgendwie erträglicher.
Dann blickt sie zum circa zweihundertsten Mal auf die Uhr.
8 Uhr 25
Sie schreibt weiter, und ich lese mit.
… okay, die Sache ist die, dass es eine absolut vernünftige Erklärung dafür geben könnte, dass er nicht pünktlich erscheint.
Ach komm schon, Fiona, was denn zum Beispiel? Vielleicht ein Notfall mit einem Schäferhund? Sein Hund hat ein Kind gebissen, das umgehend in die Notaufnahme gebracht werden musste? Sein Hund ist ohne Maulkorb abgehauen, und jetzt sucht er mit Unterstützung des Tierschutzvereins ganz Dublin nach ihm ab, ehe er anfängt, unschuldige Touristen anzuknabbern?
… es gibt jede Menge Gründe, die ihn aufgehalten haben könnten. Zum Beispiel der Verkehr. Oder vielleicht hat er den Termin verpeilt. Oder er hatte auf dem Weg hierher einen Autounfall. Oder noch besser, vielleicht ist er heute Nachmittag in der Stadt überfallen worden, man hat ihm das Handy geklaut, und jetzt kann er nicht mal mehr anrufen, um mir zu sagen, dass er sich verspätet. Dann ist er zur Polizei gegangen, um die Kerle anzuzeigen, aber aus irgendeinem Grund haben die Polizisten ihn missverstanden und festgenommen, und jetzt sitzt er irgendwo auf einem Revier, beteuert seine Unschuld, trommelt mit den Fäusten auf den Tisch und protestiert: »Nein, ihr könnt keine Gegenüberstellung mit mir machen, ich hab ein Date, das darf ich nicht verpassen!«
Die arme Fiona. Sie konnte sich schon immer gut Geschichten ausdenken, und für eine Englischlehrerin ist das ja auch durchaus nützlich. Aber ich glaube, so ganz allmählich stellt sie sich der Tatsache, dass sie soeben von diesem Typen verschaukelt worden ist, der nicht mal den Anstand hatte, per Anruf, SMS oder E-Mail abzusagen.
Dieser Mistkerl. Dieser unvorstellbar fiese Mistkerl.
Im Innern gesteht sie sich die Niederlage offensichtlich ein. Und obwohl sie wahrscheinlich gute Lust hätte, den nächstbesten Tisch umzukippen, reißt sie sich zusammen und bittet mit heller Stimme um die Rechnung. Dann hinterlässt sie ein viel zu reichliches Trinkgeld und marschiert hocherhobenen Hauptes aus dem Lokal. So eine tapfere Frau. Ich begleite sie zum Auto zurück, und sie steigt ein. Allerdings sieht man ihr jetzt an, dass sie bitter enttäuscht und gedemütigt ist. Erst als mein Blick erneut auf den Stapel mit den Dickens-Aufsätzen auf dem Rücksitz fällt, habe ich einen Geistesblitz.
Mit erstaunlicher Klarheit weiß ich plötzlich, wie ich Fiona helfen kann. Nur muss ich zuerst noch was anderes herausfinden. Etwas sehr Wichtiges. Ich verstehe gar nicht, warum mir das nicht schon viel früher eingefallen ist.
Es dauert nicht mal lange, so selbstbewusst und sicher bewege ich mich inzwischen im Engelreich. Ich bin begeistert von meiner Idee für Fiona und kann mir gut vorstellen, dass ich dafür befördert werde … vielleicht zum Erzengel oder so. Das Beste daran ist, dass ich nur warten muss, bis Fiona schläft, um mich an die Arbeit zu machen.
Sie fährt zurück zu ihrem süßen kleinen Haus, kickt die Schuhe von den Füßen, stellt den Fernseher an und schenkt sich ein großes Glas Pinot Grigio ein. Ihre Lieblingsdroge. Inzwischen scheint sie sich beruhigt zu haben … na ja, mehr oder weniger. Fiona ist ja wie gesagt kein emotionaler Typ, ganz anders als Kate oder ich. Sie jammert nicht, sie schmeißt auch keine Gegenstände durch die Gegend, wenn sie wütend ist, nein, sie reagiert auf Schicksalsschläge im
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