Einmal Paradies und zurück
Allgemeinen gefasst und frisst ihren Kummer lieber in sich rein, denn sie ist zu stolz, andere die Kratzer auf ihrer Rüstung sehen zu lassen. Jetzt lässt sie sich aufs Sofa sinken, schaut sich müde um und trinkt einen großen Schluck Wein. Dann greift sie zu dem Heftestapel, den sie aus dem Auto mit reingeschleppt hat, und nachdem sie zwei Aufsätze mit gezücktem Rotstift korrigiert und dabei immer wieder gestöhnt hat: »Das ist doch keine Antwort!«, ist das Weinglas fast leer. Und die Droge wirkt. Kurze Zeit später hat sie die Füße aufs Sofa gelegt und ist eingeschlafen, erschöpft von ihrem Arbeitstag und diesem nervtötenden Abend.
Also los. Das ist mein Stichwort. Was ich vorhabe, ist extrem kompliziert, schließlich mache ich es zum ersten Mal, da muss ich mich höllisch konzentrieren. Jede Kleinigkeit muss passen, sonst setze ich die Sache womöglich in den Sand. Ich rufe mir alles ins Gedächtnis, was ich im Engel-Crashkurs gelernt habe, fokussiere meine Aufmerksamkeit ganz intensiv auf das, was ich erreichen möchte, und dann … bin ich auf einmal da.
Fiona, die gerade noch laut geschnarcht hat, schlägt die Augen auf und sieht mich an. Ganz schön sonderbar, denn ich weiß ja, dass sie tief und fest schläft. Langsam setzt sie sich auf, schaut mir direkt ins Gesicht, blinzelt heftig, schüttelt den Kopf, streckt ungläubig die Hand nach mir aus und berührt vorsichtig meine Arme und Schultern. Ehrlich, es ist wie in einem Zeichentrickfilm.
»Jesus Christus und alle Heiligen«, sagt sie schließlich, als sie ihre Kinnlade wieder einigermaßen unter Kontrolle hat. »Bilde ich mir das etwa nur ein?«
»Nein, Süße, und ich entschuldige mich im Voraus für den Schreck. Du hast keine Halluzinationen. Ich bin es wirklich.«
»Okay«, antwortet Fiona zögernd und reibt sich die Augen. »Der Teil meines Gehirns, der noch einigermaßen funktioniert, sagt mir, dass das ein Traum ist. Ich weiß also, dass es ein Traum ist und dass es nicht wirklich passiert, aber ich muss sagen, mein Unterbewusstsein macht seine Sache echt gut. Du siehst … na ja, du siehst aus wie du. Du klingst wie du. Du
riechst
sogar wie du. Clinique Happy, dein Lieblingsparfüm.«
»Ach Fiona, weißt du, wie gut es tut, endlich wieder mit dir reden zu können? Ich hab dir so viel zu erzählen, aber wir haben leider nicht endlos Zeit …«
»Ich kann es nicht glauben«, wiederholt sie immer wieder. »Einfach unglaublich. Ich fass es nicht …«
»Also, krieg jetzt bitte keine Angst, ich muss dir nämlich was zeigen, und wir müssen sofort los …«
Aber sie ist ganz scharf auf ein Schwätzchen. »Nein, nein, nein, du kannst mich jetzt nicht irgendwo hinschleppen, ehe ich mit dir geredet habe. Das ist eindeutig der schönste Traum, den ich in letzter Zeit hatte, und wesentlich besser als der abgeschnittene Pferdekopf, den ich mir nach diesem Albtraumabend sonst bestimmt ausgedacht hätte.«
»Ich hab alles mitgekriegt, Süße, ich war die ganze Zeit direkt neben dir. Und ich sage nur ungern ›siehst du‹, aber Liebe kann man eben nicht downloaden, Fiona …«
»Das ist so seltsam, ich hab an dich gedacht im Restaurant. Himmel, ich hab dir sogar gemailt …«
»Ich weiß, ich war direkt hinter dir und hab dir über die Schulter geschaut …«
»Das mache ich oft, weißt du. Dir mailen, meine ich, und manchmal ruf ich dich sogar auf dem Handy an, nur um deine Voicemail zu hören, weil ich dann irgendwie das Gefühl habe, es ist alles in Ordnung mit dir …«
»Mit mir ist auch alles in Ordnung, echt …«
»Und dann war ich wieder hier und hab es überhaupt nicht in den Kopf gekriegt, dass dieser Typ mich dermaßen dreist versetzt hat. Online klang der Typ so nett, er kam rüber wie einer von den Guten, und du kennst mich ja, Charlotte, meine Erwartungen sind ziemlich niedrig bei Männern im Allgemeinen, deshalb war ich echt vor den Kopf gestoßen …«
»Dieser Schäferhundfan ist ein fieser Mistkerl. Gut, dass du ihn los bist, würde ich sagen. Wahrscheinlich mag er Fesselspiele und wer weiß was sonst noch für perversen Kram.« Da fällt mir etwas ein. »Fiona, kann ich dich mal was fragen?«
»Alles, was du willst. Gott, es ist so toll, dich zu sehen und mit dir zu reden!«
»Gehst du oft allein zu Dates mit Typen, die du bloß aus dem Internet kennst?«
»Ach komm, Schätzchen, reib es mir ruhig noch mal unter die Nase. Die Antwort lautet ja. Du kennst mich doch: Wenn einer hetero ist, Single und nicht
Weitere Kostenlose Bücher