Einmal rund ums Glück
jetzt! Aus! Voller Bedauern falte ich die Tüte zu und verstaue sie unter dem Sitz, dann starte ich den Roller.
Wenn heute schon so viele Zuschauer hier sind, wird es am Tag des Rennens brechend voll sein, denke ich, während ich einer Gruppe Fußgänger ausweiche. Weiter vorn entdecke ich zwei Männer, die unsere Overalls tragen. Als ich vor einer der großen Tribünen abbiegen will, wird mir klar, dass es unsere Fahrer sind, und einer von ihnen ist Luis.
In der Kurve verliert mein Hinterrad den Halt auf dem Schotter und bricht seitlich aus. Der ganze Roller beginnt zu rutschen, und ich kann förmlich hören, wie die Zuschauer auf der halb gefüllten Tribüne alle gleichzeitig den Atem anhalten, während ich vor ihnen über den Asphalt schlittere.
»Boah!« Will Trust – der andere Fahrer unseres Teams – springt zur Seite. Luis bleibt stehen, leicht gebückt, als wolle er mich auffangen.
»O mein Gott!«, ruft eine Australierin, als der Roller direkt vor dem Fahrer liegen bliebt. »Sie hätte beinahe Luis Castro erwischt!«
Sie spricht seinen Namen »Luis« aus, nicht »Luisch«, wie es richtig wäre. Auch wenn ich den Spinner nicht leiden kann, stört es mich, wenn man seinen Namen nicht richtig ausspricht.
»Das ist mal was anderes, sonst fährt er nämlich gerne mich an«, gebe ich zurück und stehe auf.
Sofort wird mir klar, dass ich einen Fehler gemacht habe. Die falsche Aussprache der Frau hat mich so abgelenkt, dass ich dummerweise unsere Auseinandersetzung an der Tankstelle erwähnt habe. Vielleicht hat Luis Castro ja nicht zugehört. Schnell klopfe ich mir den Staub von der Hose. Ich merke, dass sein Blick auf mir ruht.
»Du bist das«, sagt er.
Verdammt.
»Du bist das Mädchen auf dem Roller.«
»Ähm, jetzt nicht mehr«, versuche ich witzig zu sein und weise auf das umgekippte Fahrzeug. Ich bücke mich, um es hochzuheben.
»Warte, ich mache das.« Will Trust kommt zu mir und richtet den Roller wieder auf. »Alles in Ordnung?«, fragt er und sieht mich mit seinen klaren blauen Augen an.
Ich zerfließe fast vor Ehrfurcht. »Ja, sicher, alles klar«, erwidere ich und erröte. In Wirklichkeit ist gar nichts klar. Meine rechte Hand brennt wie der Teufel, weil ich mit ihr über den Schotter gerutscht bin, und ich habe ganz wackelige Knie.
»Lass mal sehen!« Will nimmt meine Hand in seine, biegt meine Finger mit dem Daumen zurück und streicht über meine Handfläche. Er beugt sich vor und begutachtet den Kratzer. Ich beobachte ihn und werde ganz unruhig dabei. Das hellblonde Haar fällt ihm in die Stirn. Ich spüre den unbändigen Drang, es ihm aus dem Gesicht zu streichen …
»Doch, klar bist du das«, wiederholt Luis.
Ist der immer noch da? Mist.
Ich schaue mich um und merke, dass sich ziemlich viele Menschen um uns versammelt haben, die mir zusehen und sich an meinem Missgeschick ergötzen. Zum Glück interessieren sie sich mehr für die Fahrer als für mich. Die Fahrer jedoch …
»Du bist das Mädchen von der Tankstelle, damals in Brasilien«, erinnert sich Luis.
Will lässt mich los und sieht uns fragend an. »Kennt ihr euch?«
Ich dehne meine Hand. Noch immer spüre ich seine Finger auf der Haut.
»Ja, sie ist mir letztes Jahr in São Paulo fast in den Ferrari gefahren«, sagt Luis.
»
Ich
bin
dir
in
deinen
Ferrari gefahren?« Empört komme ich wieder zur Besinnung. »Du hast mich fast umgebracht!«
»Ha!«, lacht er mir ins Gesicht. »Das ist ja albern. Außerdem kannst du nicht fahren. Damals hab ich gesagt: Frau am Steuer – Ungeheuer, und heute hast du’s aufs Neue bewiesen.«
»Du … du … du …« Nach Worten ringend, funkel ich ihn böse an.
»Heute bin ich aber kein
coglione
, oder?«
»Nein, aber du bist ein
testa di cazzo
«, murmel ich vor mich hin. Die Bedeutung ist dieselbe. Wörtlich übersetzt heißt es
Sackgesicht
. Ich grinse.
»Was hast du gerade gesagt?«, will Luis wissen. »Was hat sie gesagt?«, fragt er Will.
Will zuckt belustigt mit den Schultern und bückt sich, um den Staub vom Roller zu wischen. Mir fällt wieder ein, was gerade passiert ist.
»Ist aber kein Kratzer dran, oder?« Ich hocke mich neben Will und untersuche das Fahrzeug.
»Ist nicht so schlimm«, beruhigt er mich.
»Hoffentlich wirft Simon mich nicht raus …«
»Simon wird das gar nicht merken. Der hat viel zu viel um die Ohren.«
»Simon entgeht nichts«, wirft Luis hilfreich ein.
Will verdreht die Augen. Obwohl ich Angst habe, gefeuert zu werden, flattert mein
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