Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
Vom Netzwerk:
seinem oder ihrem eigenen Spiel ist. Das Schachbrett ist die Welt; die Figuren sind die Phänomene des Universums; die Spielregeln sind, was wir Naturgesetze nennen. Der Spieler auf der anderen Seite ist uns verborgen. Wir wissen, daß sein Spiel immer fair, gerecht und geduldig ist. Wir wissen aber auch, aus teuer erkaufter Erfahrung, daß er niemals einen Fehler übersieht noch bei Unkenntnis die geringste Nachsicht zeigt. Dem, der gut spielt, wird der höchste Preis gezahlt, aus jener überströmenden Großzügigkeit heraus, mit der der Starke seine Freude an Stärke zum Ausdruck bringt. Jeder, der schlecht spielt, wird matt gesetzt – langsam, aber unerbittlich.“ Der Brief war vom Chefarzt unterschrieben.
    An jenem Abend war mein Magen wieder verknotet, und der Stationsarzt verordnete noch ein Beruhigungsmittel. Als Katy es brachte, las sie den Brief und gab ihn an Eileen und Kimi weiter. Eileen las ihn und meinte: „Ich für meine Person spiele nur Dame,“ und Kimi: „Ich kann nicht an die Allmacht glauben von jemand, der niemals einen Fehler übersieht, zumal ich gelernt habe, daß ,irren menschlich, vergeben göttlich‘ ist.“ Katy fügte hinzu: „Und der Groll scheuert rasch die Tasche durch, in der man ihn mit sich herumträgt. Was halten Sie davon, daß wir die Tafel abwischen und morgen ganz neu anfangen?“
    Ich war sehr dafür, Minna so erpicht darauf, daß sie einem leid tun konnte, Kimi einverstanden, aber Eileen sagte: „Den Gestank vom Skunk kriegt man doch nicht damit weg, daß mein ihm die Streifen übermalt.“ Als Katy vermittelte: „Komm, Kleines, um der Kur willen wollen wir Frieden schließen!“, sagte sie: „Wenn man das erstemal ein Messer in den Rücken kriegt, ist der andere schuld. Das zweitemal man selbst. Die kleine Eva hat mir wohl schon dreimal das Messer in den Rücken gejagt. Von jetzt ab ist sie für mich Pest.“ Katy blinzelte Kimi und mir zu und verschwand. Eileen kroch ans Fußende des Bettes und stellte das Radio deutlich und laut ein.
    Am nächsten Tag war Besuchstag, Sonntag und strahlende Sonne, und so war der Verfall vergessen und das Zimmer friedlich, bis Velma, das Lagermädchen nach dem Abendbrot kam, um unsere Bestellungen entgegenzunehmen. Sie sagte – wobei sie ihren Mund nach einer Seite verzog und den oberen Gaumen mit ihrer Zunge massierte –: „Ich hab durch die Weinranken gehört, daß die Oberschwester euch erwischt hat, Kinder, als ihr alle aus dem Bett wart und Dame spieltet.“ Das schien uns die ganz alberne Episode ins rechte Licht zu rücken, und eine Zeitlang wenigstens lebten wir alle einträchtig miteinander und brauchten keine Beruhigungsmittel.
    Das starke Gefühl von Wohlbehagen stellte sich wieder bei mir ein, war aber diesmal begleitet von einer schrecklichen Unruhe und Reizbarkeit. Ich fühlte mich völlig wohl, und es machte mich verrückt, Stunde für Stunde, Tag für Tag dazuliegen und nichts zu tun. Absolut nichts. Auch Kimi war unruhig und hatte ihre Lesezeit, ohne es zu merken, von fünfzehn Minuten auf ungefähr zwölf Stunden ausgedehnt; da sie aber keine Bücher lesen durfte, sondern nur Zeitschriften und Zeitungen, verlor selbst dies nach einer Weile seinen Reiz. Eileen, die sonst immer unerhört aktiv und vergnügt gewesen war, wurde plötzlich still und mürrisch. Minna schlief.
    Sie schlief nachts so fest, daß sie jeden Morgen von den Waschwassermädchen geweckt werden mußte. Zur Frühstückszeit mußte sie von den Schwestern geweckt werden. Für die Zwischenmahlzeit, für das Mittagessen, das Abendbrot mußte sie geweckt werden. Sicherlich eine harmlose und vom Personal wärmstens empfohlene Beschäftigung, mich aber machte es rasend.
    Jeden Morgen, den Gott werden ließ, an allen sieben Tagen der Woche, gähnte sie, wenn die Waschwassermädchen sie schließlich wach bekommen hatten, reckte sich, rieb sich die dicken weißen Augenlider und sagte: „Oh mei, oh mei, ich bin so verschlaaaaaaaaaafen.“ Sofort, wenn sie sich gewaschen hatte, kuschelte sie sich wieder fest ein: „Hm, mmmm, hmmmmmm, ich bin verschlaaaaaaafen,“ und ich hätte am liebsten losgeschrien. Wann ich auch zu ihr hinsah, sie schlief, auf dem Rücken liegend, den blaßroten, feuchten Mund halb geöffnet, die blauen Augenlider gesenkt und über die leicht vorstehenden, blaßblauen Augen gewölbt. Ich hatte Lust, zu brüllen und genau über ihrem Kopf ein Gewehr abzufeuern. Ihre Schlaferei erschien mir genau so widernatürlich und ekelhaft, als

Weitere Kostenlose Bücher