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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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wenn ich zugesehen hätte, wie jemand sich bis zur Bewußtlosigkeit voll aß und trank. Ihr Gemüt war anscheinend ungefähr so kompliziert wie das einer Schüssel mit Kartoffelbrei. Ganz selbstverständlich war sie der Liebling der Oberschwester, denn verglichen mit ihr wirkte jeder, der nicht unter Äther lag, wie ein angezündeter Dynamitstab, und ihre Pflege erforderte das gleiche Maß ein Initiative und Bedacht wie das Eintauchen schmutziger Wäsche in eine Waschmaschine. Wenn man bei den Mahlzeiten beobachtete, wie sie aus ihrem Kokon auftauchte, mit den schweren, weiß gesäumten Lidern über den blaßblauen Augen blinzelte, das blasse Gesicht hochhob, war das, als sähe man einen trägen weißen Wurm seinen Kopf aus einem Apfel herausstecken.
    Abgesehen von den Mahlzeiten erwachte Minna nur zum Leben und brachte nur Begeisterung auf, wenn sie über Tuberkulose sprach. Minna liebte Tuberkulose und erörterte mit Begeisterung alle kleinen, widerwärtigen Einzelheiten ihrer Krankheit. Von dem Optimismus neuer Patienten, in weniger als einem Jahr aus dem Fichtenhain herauszukommen, besaß sie gar nichts, und sie rechnete damit, daß man ihr für drei Jahre, bei den möglichen und wahrscheinlichen Rückfällen und einigem Glück sogar für fünf Jahre völlige Bettruhe verordnen werde.
    Sie las eifrig ihre Lektionen und erörterte ihre Symptome mit jedem, der zuhören mochte. Sie fragte die Schwestern, die Blumenmädchen (Patienten, die sechs Stunden auf sein durften und zweimal wöchentlich in die Bettlägerigen-Station kamen, um die Blumen zu ordnen), Waschwassermädchen, Reinemachemänner, das Lagermädchen, den Lagerjungen und Charlie aus nach grausigen Einzelheiten von Operationen, Blutstürzen und Todesfällen. In Charlie hatte sie selbstverständlich eine unerschöpfliche Fundgrube für schlechte Nachrichten und deprimierende Gerüchte.
    Bis jetzt hatte niemand in unserer Krankenstube eine andere Behandlung bekommen als Ruhe, von der Eileen gewiß nicht allzuviel gehabt hatte; aber wir alle schienen gute Fortschritte zu machen. Ich hustete jetzt gar nicht mehr; Kimi hatte niemals gehustet; Eileen hustete nur morgens, wenn sie schwatzte und lachte, und Minna nur, wenn sie sich unzulässig bei der Erörterung von Gerüchten und Fällen anstrengte. Wir alle hatten einen Riesenappetit, wir verspeisten alles und jedes Essen, das uns angeboten wurde, und soviel man uns gab. In jedem unserer Briefe nach Hause baten wir um noch mehr Essen, und an Besuchstagen sah unser Krankenzimmer wie ein Delikatessengeschäft aus.
    Eines Tages und ohne vorherige Ankündigung wurde dann Minna während der Ruhestunden im Rollstuhl entführt und bekam einen Pneumothorax. Wir hatten schon durch die ambulanten Patienten, die ihn allgemein „Gas“ nannten, von einem Pneumothorax gehört, wußten aber nicht genau, was das war, und dachten, er sei nur für die Schwerkranken.
    Als Minna zurückkam, erzählte sie uns, der Chefarzt hätte ihr erklärt, daß der Pneumothorax für die tuberkulöse Lunge das gleiche sei wie eine Schiene für ein gebrochenes Bein. Er bestünde darin, daß man in die Pleurahöhle reine Luft einführe, wodurch wiederum die Lunge gezwungen würde, kraft ihrer eigenen Elastizität in sich zusammenzufallen.
    Es wäre so ähnlich, als wenn man zwischen die Hülle und die Blase eines Fußballs Luft pumpe, so daß die Blase sich nicht ausdehnen könne. Sie erzählte, der Chefarzt hätte ihr gesagt, daß sie sehr gut dran sei, weil man ihr einen künstlichen Pneumothorax machen könnte, denn infolge der Verwachsungen (Stellen, an denen die Lunge am Brustfell festgewachsen ist) wäre das nur bei wenigen Patienten möglich.
    Sie erzählte, während sie auf einem Operationstisch auf dem Rücken gelegen und den rechten Arm über den Kopf gehalten hätte, hätte der Arzt unter ihrer rechten Brust eine kleine Stelle mit einem Quecksilberpräparat bestrichen, Novocain gespritzt und dann eine hohle Nadel, ungefähr so stark wie eine grobe Nähnadel, aber sehr viel länger, zwischen die Lunge und das Brustfell gesteckt. Nachdem sie drin gewesen sei, hätte er sie an einem Ding festgemacht, mit dem die Luft hineingepreßt wurde. Sie sagte, es hätte kein bißchen weh getan, und zeigte uns die kleine, mit Pflaster verklebte Stelle.
    Dann versetzte sie uns, daß sie uns ja nicht unnötig aufregen wolle, aber aus ihrer langen und aufschlußreichen Unterhaltung mit dem Chefarzt habe sie den Eindruck, daß Patienten, die keinerlei

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