Einmal scheint die Sonne wieder
Privatsanatorium bezahlt hätte, hätte ich mich nie von den Schwestern so herumkommandieren lassen, wie sie das hier tun und getan haben, und ich hätte dann nicht dieses große, schmutzige, gräßliche Spitzentischtuch für meine Hamsterkiste.“
„Und wo wir gerade dabei sind, unsere Glücksfälle zusammenzurechnen,“ sagte ich, „ist es nicht ein Segen, daß wir zufällig in einer Gegend lebten, die drei Viertel des Jahres unter Wasser liegt, als wir Tuberkulose bekamen? Daß wir hier zu viel Sonne kriegen, brauchen wir nicht zu fürchten; aber vor Stockflecken müssen wir uns in acht nehmen.“
„Was die Stockflecken betrifft,“ meinte Kate, „die Oberschwester unten in der Ambulanten-Station benimmt sich, als wenn dies Hospital direkt am Äquator erbaut wäre, und wenn sie wüßte, wo man Tropenhelme herbekommt, würde sie die als Bekleidungsstück vorschreiben. Selbst an ganz trüben Tagen verlangt sie von allen Patienten, daß sie sich was auf den Kopf setzen, wenn sie ins Lager gehen.“
„Wie weit ist es bis zum Lager?“ fragte ich und dachte an eine Entfernung von Kilometern.
„Ungefähr einen halben Häuserblock,“ sagte Kate, „aber die Oberschwester von der Ambulanten-Station hält den Fichtenhain für die Welt und glaubt, daß die Sonne ihre Strahlen direkt auf die Patienten fallen läßt, so, wie jemand einen Scheinwerfer einstellt.“
Die Sonne hatte jetzt einen oder zwei ihrer Strahlen auf meinen Rücken gerichtet, und ich fühlte mich dabei wie ein Braten, der aus dem Eis schrank gerade in einen heißen Ofen geschoben worden ist. Ich wußte, daß ich eigentlich aufstehen und mich an einen anderen Platz setzen mußte, aber ich war von der köstlichen Wärme wie hypnotisiert. Ich lehnte mich zurück, schloß die Augen und ließ den gefährlichen Sonnenschein wie warmes Öl an mir herunterfließen. Die Stimme der Oberschwester riß mich aus meiner Trägheit. Sie zitterte vor Entsetzen: „Mrs. Bard, Sie sitzen in der Sonne !“ – „Verzeihung, ich muß eingenickt sein, ich rücke sofort weg,“ entgegnete ich, aber sie sagte: „Sie brauchen nicht erst zu rücken, Sie und Miß Harte müssen zur Untersuchung.“ Untersuchung! Das bedeutete Ambulanten-Station! Ich hätte am liebsten vor Freude losgeschrien, gab mir aber große Mühe, nichts anderes als blinden Gehorsam zu zeigen. Ich sah zu Kate hinüber. Sie blinzelte und hielt zwei Finger gekreuzt hoch. Die Oberschwester sagte: „Sie können in das Untersuchungszimmer gehen,“ und verschwand von der Liegehalle.
Ich hatte in den fünf Monaten, die ich im Fichtenhain war, zwanzig Pfund zugenommen, und als ich auf meinen Beinen, die vor Aufregung und Entwöhnung unsicher waren, hilflos durch den langen Gang taumelte, kam ich mir vor wie ein Tank. Einmal stolperte ich, und als ich nach einer Sperrholzwand als Stütze tastete, gab sie unter meinem gewaltigen Druck nach und wackelte unschlüssig über dem Kopf einer schlafenden Patientin. Kate, die zehn Pfund schwerer war als vor einem Monat, aber immer noch so schlank wie eine Bohnenstange, lachte bei meinem Ringkampf mit der Wand. Bevor wir an dem letzten Zimmer unserer Station vorbei waren, konnten wir das Flüstern hören. „Die kommen in die Ambulanten-Station. Die dürfen sechs Stunden aufstehen. Sie gehen zur Untersuchung.“ Die Nachrichten über uns kamen schneller voran als wir selbst.
Als wir in den Untersuchungsraum kamen, wartete die Oberschwester schon auf uns. Sie schickte mich zuerst hinein. Der Arzt untersuchte sehr gründlich Lungen und Brust, sagte aber nichts. Als ich herauskam, hatte ich vor Aufregung ein ganz heißes Gesicht und fürchtete, die Oberschwester könnte glauben, ich hätte die gefürchtete Tb-Röte. Bevor Kate hineinging, sagte sie ganz leise mit aufgeregter Stimme: „Beten Sie doll für mich!“ Ihre Augen waren ganz groß vor Angst, die Pupillen so geweitet, daß sie die ganze Iris bedeckten.
Während Kate untersucht wurde, schlurfte ich langsam in mein Bett zurück. Es stand jetzt in einem Vierbetten-Zimmer, das an der entgegengesetzten Seite des Hauses lag wie das Aufnahme-Zimmer. Meine Gefährtinnen waren außer Kate eine Mrs. Harmon, die kleine, unverzagte Frau, die meinen ersten Aufstehversuch miterlebt hatte, und Lizzie Merrit, eine ehemalige Schwester. Da Lizzie schon zwei Jahre fest im Bett lag und für mindestens ein weiteres Jahr keine Hoffnung bestand, daß sie aufstehen durfte, und da man Mrs. Harmon gerade zum sechsten Mal in diesem
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