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Einmal scheint die Sonne wieder

Einmal scheint die Sonne wieder

Titel: Einmal scheint die Sonne wieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Betty McDonald
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vergnügt, ohne erst aufmerksam auf die leisen Gummisohlenschritte einer Schwester zu lauschen. Ich füllte meine Wärmflasche in der nächsten Stunde ungefähr zehnmal frisch mit heißem Wasser, und jedesmal lief mir ein Prickeln über die Haut vor Freude an dieser kleinen Freiheit zum Wohlbehagen. Trotz des widerwärtigen Empfangs der Oberschwester kam mir ihre Station wie das reinste Paradies vor.
    Um 4 Uhr 15 sagte mir Sigrid, daß ich aufstehen und mich fürs Abendbrot zurechtmachen müßte; daß ich in der ersten Woche mit einem Rollstuhl in den Speisesaal gefahren würde, danach am ersten Tag einen Weg, am nächsten Tag zwei Wege gehen dürfte, und so weiter. Nach zwei Wochen könnte ich zu allen Mahlzeiten hin- und zurückgehen.
    Während ich mir das Gesicht wusch und mich anzog, saß Sigrid auf ihrem Bett und erzählte mir ein bißchen von der Station, ein bißchen von sich selbst. Sie war zweiundzwanzig Jahre alt, war fast neun Monate im Fichtenhain, auf einem Gut in der Nähe von Oslo in Norwegen geboren, hatte einen Mann, der im Norden zum Fischen war, haßte die Oberschwester genau so wie Kimi, sprach aber völlig nüchtern von ihr, genau wie über alles andere.
    Sie sagte: „Die ist verrückt, und darum halt ich mich von ihr fern. Sie geht mit Trapp-trapp-trapp, und man kann sie ganze Häuserblöcke weit hören. Wenn ich sie kommen höre, mach ich entweder die Augen zu, und tue, als ob ich schlafe, oder ich gehe auf die Toilette. Auf diese Weise kann sie mich nicht in eine Auseinandersetzung verwickeln.“
    Sigrids Schwester war im Jahr vorher im Fichtenhain gestorben, aber sie war nicht traurig darüber. Sie sagte: „Sie hätte vernünftig sein und früher zum Arzt gehen sollen. Es ist besser, daß sie gestorben ist. Sie wäre ihr ganzes Leben krank gewesen.“ Ich fragte sie, ob sie Sehnsucht nach ihrem Mann hätte. „Nein,“ meinte sie. „Ich wußte, daß er fortgehen würde. Wir können noch das ganze Leben zusammen sein; warum soll ich mich wegen dieser paar Monate aufregen?“
    Einen Monat lang war ich mit Sigrid in einem Zimmer, und sie war die ideale Zimmergefährtin. Immer freundlich, immer höflich, nie aufgeregt. Ich war immer auf den zackigsten Gipfeln der Ekstase oder in den tiefsten Abgründen der Depression. Sie hätte mit einer geraden Linie dargestellt werden können. Da ich sehr viel las und mich dabei wohl zu fühlen schien, bat sie mich, ihr meine Bücher zu leihen, wenn ich sie ausgelesen hätte. Aber wenn sie nur ein paar Seiten gelesen hatte, schob sie alle gleich beiseite. Sie fand sie „zu unwirklich“. Wenn jemand „Früchte des Zorns“ zu unwirklich fand, konnte ich ihm nichts mehr vorschlagen.
    Sigrid hatte aschblondes Haar, große wasserbaue Augen, einen herrlichen Körper und ging stolz wie eine kleine Königin, mit hocherhobenem Kopf, geradem Rücken, graziösen und langsamen Schritten. Ich sprach sie auf ihre wunderbare Haltung an. Sie sagte: „Sie werden genau so gehen. Das kommt vom Liegen im Bett und davon, daß man den Rücken ausruht.“ Sie hatte recht. Alle weiblichen Patienten hatten einen herrlichen Gang. Als ich auf die Schwester wartete, die mich abholte, beobachtete ich, wie sie auf dem Weg zum Abendbrot über den Flur kamen, sich langsam und graziös bewegten, als trügen sie Bücher auf dem Kopf. Aber keine hatte die hoheitsvolle Anmut von Sigrid. Es muß etwas Nordisches gewesen sein.
    Die Schwester, die mich holte, eine nette, freundliche, alte, kleine Frau, hielt auf dem gedeckten Quadernweg an, der die Ambulanten-Station für Frauen mit dem Speisesaal verband, und zeigte mir den Miniatur-Golfplatz, den Springbrunnen, die Kinder-Station, die Ambulanten-Station für Männer, die Bettlägerigen-Station und die Isolierstation. Sie sagte, im Juni sei der Gang von Rosen dicht überrankt, und schon in ein paar Wochen würden alle Wege mit Blumen gesäumt, die Rasenflächen mit blühenden Bäumen geschmückt sein.
    Der große, schlichte Speisesaal hatte eine mit Balken durchzogene Decke, einen Kamin aus Stein – natürlich ohne Feuer –, offene Fenster auf beiden Seiten, offene Glastüren rechts und links vom Kamin und ungezählte Reihen brauner rechteckiger Vierertische. Die Tische für die Männer waren auf der einen, die für die Frauen auf der anderen Seite und dazwischen war Niemandsland.
    Männer und Frauen durften im Speisesaal nicht miteinander sprechen; genau gesagt, war jede Verständigung zwischen weiblichen und männlichen Patienten

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