Einmal scheint die Sonne wieder
Was für einen Beweis?“ Sie benahm sich, als brauche sie schriftliche Referenzen. Sie entgegnete: „Sie werden Ihr Verhalten ändern müssen, Mrs. Bard.“ Als ich sagte: „Es tut mir leid, aber ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen,“ sagte sie: „Wenn Sie jetzt nicht wissen, was Sie sagen sollen, haben Sie bei uns nicht sehr viel gelernt.“
Ich sagte: „Ich verstehe nicht, wovon Sie sprechen, und ich weiß nicht, was Sie von mir hören wollen.“ Sie lächelte mich mild an und sagte: „Ich will nur von Ihnen hören, daß Sie die beste Absicht haben, ein gehorsamer, nützlicher, mitarbeitender, fleißiger Patient zu sein.“ Ich sagte demütig: „Das verspreche ich,“ obwohl ich das dringende Bedürfnis hatte, zu antworten: „Ich werd mich hüten!“
Nach dieser Begrüßung machten wir uns auf den Weg in die Station. Ich hatte die leise Ahnung, daß das Leben von jetzt ab nicht gerade ein Tanz auf grünem Rasen sein würde, und als mich die Oberschwester in mein neues Zimmer fuhr, fragte ich daher nach den Vorschriften. Ob es die gleichen seien wie in der Bettlägerigen-Station? Wenn nicht, welche Vorschriften galten dann hier? Die Oberschwester sagte: „Wir teilen unseren Patienten die Vorschriften nicht mit, Mrs. Bard. Wir finden, daß sie am besten durch Prüfungen und Irrtümer zu lernen sind.“ Ich antwortete: „Aber wie kann ich gehorsam sein, nützlich und gut mitarbeiten, wenn ich nicht weiß, was man von mir erwartet?“ Sie sagte: „Auf Auseinandersetzungen lassen wir uns nicht ein, Mrs. Bard. Ich habe die Vollmacht und tue, was meiner Ansicht nach für die Patienten am besten ist.“
Wir kamen in die Ambulanten-Station für Frauen. Das Gebäude, ein moderner Ziegelbau, war zwei Stockwerke hoch, hatte statt der Treppen bequeme Rampen und war konstruiert wie ein Ozeandampfer, mit allen Einrichtungen von Kabinen, die auf gedeckte, etwa drei Meter breite Promenadendecks hinausgingen. Die Oberschwester rollte mich in ein Appartement auf der Südseite, im ersten Stock, mit Blick auf einen Kirschgarten, und sagte mir, daß es um 4 Uhr 30 Abendbrot gäbe, daß eine Schwester mich mit einem Rollstuhl holen würde, daß ich fertig zu sein hätte, und verschwand.
Mein Bett war schon gemacht, meine Sachen standen in Kartons auf der Erde. Meine neue Zimmergenossin, Sigrid Hansen, die Blonde mit dem ernsten Gesicht aus der Bettlägerigen-Abteilung, sagte: „Sie bekommen die zwei unteren Schubfächer in der Kommode und den rechten Schrank im Waschraum.“ Ich sagte: „Sie meinen, daß wir unseren eigenen Waschraum haben?“ „Ja,“ antwortete sie. „Da ist es warm, und da ziehen wir uns an.“ Ich ging zur Tür und machte sie auf. Das Ankleidezimmer war herrlich warm und hatte zwei große Metall-Kleiderschränke und ein Waschbecken. Hinten war ein kleines Klosett. Keine Bettpfannen mehr, hurra!
Ich legte meine sauberen Schlafanzüge und Wolljacken in die Kommodenfächer, den Rest meiner Sachen in den Nachttisch und stieg ins Bett. Das Bett war sehr kalt. Ich fragte Sigrid, ob wir Wärmflaschen haben dürften. Sie sagte: „Aber sicher, Sie brauchen sie bloß im Waschraum zu füllen. Alle zehn Minuten, wenn Sie wollen.“ Ich stand sofort auf und goß meine Wärmflasche mit brühheißem Wasser voll. Welch ein Segen!
Die vordere Wand des Zimmers nahm ein großes Flügelfenster mit Stahlrahmen ein, das auf den Kirschgarten hinausging. Die einzelnen Felder, etwa vierzig Zentimeter im Quadrat und an Scharnieren befestigt, konnten geöffnet werden und bildeten dann Glasplatten für Blumen. Genau wie in der Bettlägerigen-Station standen alle Fenster immer auf. Die Tür war in den gleichen Stahlrahmen gefaßt, auch aus Glas und offen. Die Wände waren cremefarbig verputzt, die Möbel – zwei Betten, zwei Nachttische, zwei Stühle, eine Kommode und ein Tisch für Bücher und Zeitschriften – hatten einen dunklen Türkiston, der Fußboden einen terracotta und schwarz karierten Linoleumbelag.
Das Zimmer war hübsch eingerichtet und wohnlich, der Blick in den Kirschgarten wunderschön, die frische Luft duftete köstlich nach Erde, jungem Grün und durchwärmtem Gras; aber am schönsten von allem war die Freiheit. Auf dem Flur patrouillierten keine Schwestern, gelegentlich hörte man von rechts oder links Stimmen oder gedämpftes Auflachen, Achtstunden-Patienten gingen Arm in Arm an der Tür vorbei, blieben stehen und lächelten uns zu oder sprachen uns an, und Sigrid und ich plauderten
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