Einmal scheint die Sonne wieder
Liegehalle zu liegen, Handarbeiten zu machen und unsere Aufstehzeit abzusitzen. Wir hatten am Abend vorher unsere vollen drei Stunden erreicht, kamen uns vor wie ungeduldige Vogeljunge, die am Rand des Nestes zappeln, und warteten auf einen Anstoß, unsere Flügel zu versuchen. Von jetzt ab konnte alles eintreten, die Ambulanten-Station, ein Wannenbad, ein Ausflug zum Friseur, Arbeit in der Beschäftigungstherapie-Werkstatt, sechs Stunden Aufstehzeit – alles. Wir mußten nur ruhig sitzen und warten.
Die freundliche Sonne schlug Funken aus meinem eifrigen Schiffchen, daß dadurch ganz flink und wendig aussah. Sie griff sich Kates eilenden Häkelhaken und verwandelte ihn in ein kleines, huschendes Licht. Sie wärmte und taute sogar die fünf Liegehallenpatienten auf, die jetzt aus ihren weißen Decken hervorkamen wie tapfere Krokusse aus dem Schnee.
Ich fragte Kate: „Ist es nicht viel schlimmer, wenn man im Sommer im Bett liegen muß?“ Sie meinte: „O je, ja. Man wird heiß und unruhig und kratzbürstig und reizbar. Es kommt einem vor, als ob zwischen zwei Bädern ein Monat liegt und zwischen zweimal Haarwaschen ein Jahr, und alle die greulichen Sanatoriumsgerüche setzen sich an einem fest, bis man allmählich jeden Appetit verliert. In den Liegehallen ist es nicht so schlimm, darum haben auch die armen Dinger da drüben den Winter hier durch gehalten – so kriegen sie ein Anrecht für den Sommer.“
Ich fragte: „Warum gehen die Leute dann in heiße Gegenden wie Arizona, um ihre Tuberkulose zu heilen?“ Kate sagte: „Ich glaube, weil sie gehört haben, daß die Tuberkelbazillen getötet werden, wenn man sich der Sonne aussetzt, und denken, wenn sie lang genug in der Sonne liegen, dringen die Strahlen in ihre Lungen und töten die Keime darin. Der Chefarzt meint ja, daß es bei Lungentuberkulose sehr gefährlich ist, wenn man sich der Sonne aussetzt, und daß man es höchstens unter ärztlicher Aufsicht tun darf. Er warnt vor Sonnenbädern, sogar davor, daß wir ohne Hut in der Sonne sitzen; er sagt, davon steigen Temperatur und Puls, und ich glaube, die Bazillen werden dadurch in die Blutbahn getrieben.“
„Aber was ist mit den Leuten, die in einem heißen Klima wohnen?“ fragte ich. „Ich könnte mir denken, daß sie auch die Kur in heißem Klima machen müssen, damit sich ihre Widerstandsfähigkeit bei einer normalen Beschäftigung in heißen Gegenden feststellen läßt“ Kate erklärte: „So wie ich es auffasse, wird die Lungentuberkulose verursacht durch Tuberkelbazillen in der Lunge, und bis heute hat man keine andere Möglichkeit, diese Bazillen inaktiv zu machen, als daß sie in der Lunge von Geweben verkapselt werden. Das Gewebe bildet sich am schnellsten, wenn die Lunge in Ruhe ist. Wenn Ihre Lungen durch einen Pneumothorax oder einen anderen Eingriff stillgelegt sind, glaube ich nicht, daß es etwas ausmacht, ob Sie in Alaska oder Südamerika sind; aber sollten sich diese Gewebe nur bei Bettruhe bilden können, glaube ich, daß ein volles Jahr in kaltem Klima auf Meeresspiegelhöhe am angenehmsten ist.“
„Warum auf Meeresspiegelhöhe?“ fragte ich.
„Weil,“ sagte Kate, „die Bergluft dünner ist, von den Lungen mehr Arbeit verlangt, damit sie Sauerstoff bekommen, und auch aufregt, was das Ausruhen erschwert.“
„Aber was ist, wenn man in den Bergen lebt und, auch wenn man gesund ist, weiter in den Bergen leben will? Wäre es dann nicht besser, die Kur in den Bergen zu machen?“
Kate sagte: „Wäre es nicht leichter, mit einem gebrochenen Bein in der Ebene Gehversuche zu machen? Wenn man festgestellt hat, daß der Bruch ganz geheilt und das Bein kräftig ist, kann man ja alle Berge besteigen, die man besteigen will.“
„Wissen Sie,“ sagte ich, „sosehr ich es hasse, die Dinge nur von der rosigen Seite anzusehen, bin ich doch froh, daß ich arm war, als ich Tuberkulose bekam; sonst wäre ich vielleicht in die Wüste oder auf die Spitze irgendeines Berges abgebraust und jetzt vielleicht tot, anstatt hier auf der Liegehalle zu sitzen, mich vor der Sonne in acht zu nehmen, diesen großen, weiten, häßlichen Schiffchenkragen zu machen und mir zu überlegen, wo eine große, dicke, leicht tuberkulöse Dame wohl eine Stelle findet.“ Kate meinte: „Und sosehr ich es hasse, die Dinge von der rosigen Seite anzusehen, bin ich doch froh, daß ich arm war, als ich Tuberkulose bekam, denn ich weiß, wenn ich reich gewesen wäre und 50 oder 60 Dollar in der Woche in einem
Weitere Kostenlose Bücher