Eins, zwei, drei und du bist frei
festgestellt, daß er keine Freunde hat. Er lebt sehr zurückgezogen, vertraut sich nicht mal seiner Schwester an. Meine Großmutter meint, er sei mit dem Laden verheiratet. Wie ein Priester.«
»Viele Menschen stellen die Arbeit über ihr Leben. Das ist doch uramerikanisch«, sagte Morelli.
Morellis Funkrufempfänger meldete sich.
»Mist«, sagte Morelli. »Hoffentlich endlich mal was richtig Gräßliches. Eine Enthauptung oder eine kugelzerfetzte Leiche auf einer Müllkippe. Die Mordkommission in Trenton, das ist wie Gras beim Wachsen zugucken. Es gibt einfach nicht genug anständige Morde hier.«
Ich machte die Tür von meinem Wagen auf und setzte mich hinters Steuer. »Sag Bescheid, wenn es Mo ist.«
Morelli spielte schon mit seinen Autoschlüsseln. Sein schwarzer Toyota 4×4 stand direkt hinter mir. »Mach mir keinen Ärger.«
Ich fuhr los, ungewiß, was ich als nächstes tun sollte. Ich war allen Angaben nachgegangen, die in Mos Kautionsvereinbarung standen.
Ich hatte die Nachbarn sondiert, seine Wohnung durchsucht, mit seiner einzigen Schwester gesprochen.
Nach zehn Minuten Herumfahren fand ich mich auf dem Parkplatz vor meinem Haus wieder. Das Gebäude und der Platz sahen kahl aus im Januar. Backstein und Schotter waren von Sommergewächsen befreit, der bleierne Himmel so dunkel, daß die Straßenlaternen eingeschaltet waren.
Ich stieg aus dem Auto und ging mit eingezogenem Kopf zum Hintereingang des Hauses, stieß die Flügeltür aus Glas auf und war dankbar für die Wärme, die mich plötzlich umfing.
Ich betrat den Aufzug und drückte den Knopf für den ersten Stock. Ich fragte mich, was mir bei meiner Suche nach Bedemier entgangen war. Normalerweise tauchte bei den allerersten Nachforschungen immer irgend etwas auf, an das man sich halten konnte – eine Freundin, ein Hobby, eine Lieblingsbäckerei, ein Spirituosenladen. Diesmal war nichts dergleichen aufgetaucht.
Die Aufzugtür öffnete sich, und auf dem kurzen Stück über den Flur legte ich mir im Geist eine Liste von Telefonanrufen zurecht, die ich machen wollte. Ich konnte Mos Bankkonto überprüfen, feststellen, ob kürzlich Abhebungen getätigt worden waren. Ich konnte seinen Kreditrahmen überprüfen. Manchmal förderte eine Überprüfung des Kreditvolumens verborgene Probleme zutage. Ich konnte mir die Abrechnungen über Strom-und Wasserversorgung ansehen, vielleicht wurde da ein zweiter Wohnsitz verbucht. Und ich konnte Sue Ann Grebek anrufen. Sue Ann Grebek wußte über alles und jeden Bescheid.
Ich schloß die Wohnungstür auf, trat in die Diele und machte kurz Inventur. Mein Hamster Rex schlief in der Suppendose in seinem Glaskäfig. Die Anzeige auf meinem Anrufbeantworter blinkte nicht, und es waren auch keine Urlaute von irgendwelchen dicken, behaarten, stummelzahnigen Kerlen zu hören, die hastig unter mein Bett krochen.
Ich warf meine Handtasche auf die Küchenablage und hängte meine Jacke über eine Stuhllehne. Ich goß Milch in einen Becher, stellte ihn zwei Minuten in die Mikrowelle und schaufelte zwei Löffel Kakaopulver in die heiße Milch. Ich tat noch zwei Speckmäuse hinzu, und während sie aufweichten, schmierte ich Erdnußbutter auf eine pappige Weißbrotscheibe.
Ich ging mit dem ganzen Zeug und meinem schnurlosen Telefon zum Eßtisch und wählte Sue Anns Nummer.
»Stephanie, Stephanie, Stephanie«, sagte Sue Ann. »Mein Telefon steht nicht mehr still. Alle Leute reden nur noch davon, daß du hinter Onkel Mo her bist.«
»Ich bin nicht hinter ihm her. Er muß bloß einen neuen Gerichtstermin vereinbaren. Eine Lappalie.«
»Wieso regen sich dann alle so auf?«
»Wem sagst du das?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Sue Ann. »Was soll ich sagen? Mo ist bei allen beliebt. Mo mischt sich nicht ein. Er ist nett zu den Kindern.«
»Irgend etwas muß doch faul sein. Sind dir nie irgendwelche Gerüchte zu Ohren gekommen?«
»Kümmert es dich, ob sie stimmen oder nicht?«
»Nicht im geringsten.«
»Mit anderen Worten, du wühlst unbegründet im Dreck.«
»Genau.«
Schweigen.
»Und?« fragte ich.
»Meine Nichte hat gesagt, daß es aus Mos Laden manchmal nach Ähbäh stinkt.«
»Ihh.«
»Das wäre auch schon alles«, sagte Sue Ann.
»Ist ja nicht gerade berauschend.«
»Der Mann ist ein Heiliger. Was soll man da machen?«
»Heilige stinken nicht nach Ähbäh«, sagte ich zu ihr.
»Komische Heilige vielleicht doch.«
Nach dem Telefonat mit Sue Ann aß ich mein Sandwich, trank meinen Kakao und dachte an
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