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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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bemerken, daß sie mich langweilen und daß ich kaum noch ihre Namen behalten kann. Geschweige denn, ihre Probleme. Halte mich nicht für verächtlich. Ich hab keinen Grund, ihnen böse zu sein. Aber ich hin nicht mehr dort. Ich existiere nur noch als potemkinscher Diskussionsteilnehmer. Eine quasselnde, sich einbringende Fassade.»
    «Wo bist du denn?» Sig fühlt sich unangenehm an Andreas Zweifel erinnert. «Wo, wenn nicht dort?»
    «Ach, das ist es ja. Den Platz, an dem ich innen bin, den gibt es außen gar nicht. Mindestens hab ich ihn nicht gefunden bis jetzt. Aber vielleicht kann ich ihn ja noch zusammenbasteln.»
    «Und woher weißt du, daß du innerlich dort bist?»
    «Es ist warm, daher weiß ich’s.»
    Schade, nun ist die Vertrautheit wieder weg. Sig wird wieder schüchtern. Seine Hand hat kein Fieber mehr. Er zieht sie zu sich her, denn sie klebt auch nicht an der Tischdecke fest.
    Reginas Augen sind blicklos, wie die eines Jazzmusikers beim Solo, nach nirgendwohin gerichtet. An der Hitze in seinem Ohr spürt Sig, daß sie ihn aber plötzlich wieder ansieht.
    So mittendrin in sein Gesicht schickt sie ein so trauriges Lächeln, daß er trotz Verlegenheit die Außenfläche seiner Finger an ihre Wange legt. Ganz kurz, Sie zuckt nicht zurück und sieht ihn immer noch direkt an.
    «Würdest du den Platz erkennen, wenn du ihn siehst?»
    «Ja», sagt sie, «auf jeden Fall.»
    «Ich glaube, ich beneide dich. Hast’n Paradies und wartest nur noch auf den Schlüssel.»
    «Metaphernbremse anziehen. Rutschgefahr!»
    «Ich bin Maler, kein Deutschlehrer.» Sig ist wütend. Wieso zerstört sie so einen Moment? Er will ihr doch gut sein. Ein Freund, ein Vertrauter. Sie hat keinen Grund, ihn zu ohrfeigen. Offenbar ist sie tückisch. Hat vielleicht irgendwelche geheimen Regeln, die man nicht verletzen darf.
    So kurz seine Antwort war, so lang ziehen sich jetzt die Sekunden hin. Wie Donnerstag abends beim kleinen Fernsehspiel wachsen die Geräusche zu ochsengroßen Monstern. Akustische Kleinigkeiten, die man normalerweise schon im Gehirn aussortiert, so daß man gar nicht weiß, daß man sie hört, detonieren plötzlich im Raum.
    Ein Löffelmonster donnert in ein Untertassenmonster. Ein Gesprächsfetzenmonster malmt ein Kassenpiepsen- und ein Schlürfmonster zu undefenierbarem Brei. Eine Kakophonie. Das kleine Fernsehspiel schaltet man einfach ab, wenn der Kuß so peinlich klingt wie das Entfalten einer Zeitung oder Gurgeln im Abfluß der Badewanne. Außerdem weiß man, daß in den nächsten Minuten jemand in der Nachbarvilla «Für Elise» spielen wird.
    Aber hier gibt es keinen Knopf, und Sig schaut den Film nicht an, sondern spielt darin mit.
    «Komm, sei nicht eingeschnappt. Das Leben ist kompliziert.» Ein Seufzermonster gräbt sich in die Luft. Sig möchte am liebsten fragen, wo sie ihr Folterdiplom gemacht hat, aber er sagt nur:
    «Hochmut kommt vor dem Fall.»
    «Hochhuth?»
    Er muß lachen. Die Monster sind wieder geschrumpft.
    «Nein, Hoch mut ! Direkt vor dem Fall! Ka-Wumm!»
    «O.   k., o.   k., hab’s kapiert. Rolf Hochhuth kommt vor dem Fall. Alles klar. Vor welchem Fall übrigens. Nominativ, Akkusativ, Genetiv, Dativ …?»
    Sig unterbricht: «Ablativ, Indikativ, Sedativ, Porentief, Tatmotiv … Verschone mich.»
    Ihr Lachen klingt so, wie er sich das Lachen einer Fee vorstellt, die zwar bei MacDonalds jobbt, aber genau weiß, daß sie jederzeit den Zauberstab rausholen kann, um den nächstbesten Hamburger zum Bundeskanzler zu machen. Oder umgekehrt.
    «Wir benehmen uns, als hätten wir Publikum», sagt sie.
    «Haben wir doch», sagt Sig. «Uns.»
    Er stellt sich vor, sie nähme jetzt die Zuckerdose und schmisse sie mit einem stimmüberkippenden «Ihr spießigen Arschlöcher» oder so durch die geschlossene Glasfront nach draußen. Entsetzlich. Oder sie würde sagen: «Wir besorgen uns ein Publikum», auf den Tisch klettern, den Schlüpfer ausziehen und den Rock hochhalten.
    Er hat schon solche Situationen erlebt. Es gab in seinem Leben ein paar Figuren, die sich so was unter Selbstbefreiung vorstellten. Und Sig hatte kein Mauseloch, in das er hätte kriechen können. Mußte aufrechten Hauptes, von Blicken durchstochen, den Ort des Schreckens verlassen.
    Aber wieso fällt ihm diese Alptraumvision jetzt ein? Wieso sollte Regina, ausgerechnet Regina, die selbstsichere und unverkrampfte Liebhaberin gesicherter Deckung, hysterische Ausfälle wagen? Völliger Blödsinn! Er sollte mal etwas gegen diese

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