Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
sie schwenken die Taschen und lassen den Pony flattern. Sie grasen erregt auf der Augenweide und nehmen sich ihr Stück vom Gesehen-werden-Kuchen mit einem Schlag Begehrt-werden-Sahne obendrauf.
    Und Sig hat eine Wolke im Kopf.
    Verliebtsein und Verzweiflung sind einander so ähnlich. Dieselbe innere Panik. Derselbe organische Anarchismus. Und dabei ist das eine der Himmel, das andere aber die Hölle. Das sollten sich die Pfarrer mal hinter die Ohren schreiben. Oder hinter den Hosenlatz.
    Noch gestern, als Sig aus Stuttgart wegfuhr, sahen die eiligen Männer auf der Königstraße aus, als wären sie alle leibliche Söhne von Lothar Späth. Eine klavierlehrerhafte Pedanterie mit einem frivolen Schuß Gynäkologieprofessor beherrschte den kollektiven Gesichtsausdruck.
    Die Frauen in ihren straffsitzenden Kostümen spielten den Part der mütterlichen Karrierefrau, die die Doppelbelastung spielend schafft. Es war wie in einem farbigen Stummfilm … Alles ohne Geräusche.
    Sig hatte das Gefühl, er sei der einzige unter all den Menschen, der eine Stimme hat. Er schwieg aus Höflichkeit.
    Er stellte sich vor, diese Männer seien auf der Suche nach einem Geheimnis, denn sie hätten bisher noch keins. Zumindest kein schönes.
    Wenn die Frauen ein Geheimnis hätten, dann wohl in der Art, daß sie nach Bildern von Hieronymus Bosch onanierten. Vielleicht wünschten sie sich, ein bärtiger römischer Gott möge sie so richtig verhauen, während sie sich geräuschlos, geruchlos und planvoll zum Gipfel kitzeln.
    Also auch kein schönes.
    Und abends dann die Fahrt durch eine heruntergefallene Milchstraße, um heute in diesem dröhnenden Gesumme mitzuwirbeln. Auf einmal kein einziger Klavierlehrer und keine einzige Thatcherfrisurige Karrierefrau mehr. Nur noch lauter frischgebadete Hunde, die nicht mehr so recht wissen, wie die Welt riecht, wie sie selber riechen und was ihr Herrchen von ihnen erwartet.
    So schwänzeln sie zwischen den Frauen durch, die von der schrillsten Punkdüse bis zum bravsten Büroschmetterling allesamt gerade ihre Flugkarte für den nächsten Gomera-Urlaub mit Liebesgarantie abgeholt zu haben scheinen.
    Und Sig hat eine Wolke im Kopf.
    Verliebte sind gefährlich. Vor allem für sich selbst. Sie lassen alles sausen, was im Ordner «Leben-Lernen» so sauber abgeheftet war, und latschen mit nackten Füßen ins Minengebiet. Und pfeifen irgendeine Beatles-Melodie.
    Und wollen in die Luft gesprengt werden.
    Ja, ja, jag mich in die Luft. Regina Hodler, schieß mich auf den Mond. Im Rhythmus seiner eigenen Schritte flüstert er sich diesen Refrain von innen ins Ohr, und daß er kein Unheil anrichtet, keine Leute umrennt, Kinder tritt, Bäume knickt oder Autodächer beim Drübergehen eintritt, liegt nur daran, daß er im Träumen schon geübt ist.
    Wie es Andrea wohl macht? Wenn sie cs überhaupt macht. Sicher nicht mit einem Bild von Hieronymus Bosch vor Augen. Sie ist auf so nette Art brav in ihrem Chanel-No.-5-Panzer versteckt, daß es ihm schwerfällt, sie sich in einer erotischen Situation vorzustellen. Aber gerade weil es ihm schwerfällt, tut er’s. Wer sich so adrett dahergeniert, hat sicher was zu verbergen.
    Sie tut es bestimmt im Dunkeln. Mit der Vorstellung von Achteltriolen aus dem fünften Klavierkonzert von Beethoven. Zum Ausklang schwebt sie durch den zweiten Satz, eine rauchblasse Wolke, die ständig die Gestalt wechselt. Fliegt luftig über die Rhön. Das Klavier spielt Kondenswasserperlen, die sie freundlich über die Wiesen verstreut. Und bevor die wilde Hatz des dritten Satzes losgeht, steht sie schon unter der Dusche, erneuert den Chanel-Belag und hat anderes im Kopf.
    Der Bahnhof riecht wie gestern abend, nur stärker. Sig beeilt sich herauszukommen, denn der Geruch kommt ihm wie ein Rückfall vor. «Gehen sie zurück auf ‹Los›». Das muß er doch nicht. Er ist doch schon viel weiter als gestern, hat schon fast die halbe Schloßallee gekauft.
    Mit der großen Mappe unterm Arm mag er nicht den weiten Weg zur Kartäuserstraße gehen. Er steigt in ein Taxi.
    Der Mercedes hat keinen Stern mehr auf der Kühlerhaube. Nur ein spitzer Rest des abgebrochenen Sockels kratzt am CW -Wert.
    «Sammler unterwegs?» fragt Sig und deutet auf die leere Stelle.
    Der Taxifahrer knirscht grimmig mit seiner schwarzen Lederjacke: «Wenn ich die erwische, gibt’s Hippiesuppe.»
    «Hippiesuppe?»
    «Meinetwegen auch Spontisuppe. Ich kenn die Schweine. Sechs-Achtzig.»
    Sie sind angekommen.
    «Sieben», sagt

Weitere Kostenlose Bücher