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Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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ihren Abstieg und lassen sich vom Hemd trösten: Er wird schon sehen, wo er ohne uns hinkommt. Ganz klein wird er angekrochen kommen und uns um Verzeihung bitten. Der Kassenzettel verhöhnt die beiden: Red kein Scheiß, Abfall. Sig prüft seine neue Erscheinung in einem Schaufenster.
    Er geht in den Laden zurück und kauft auch noch das braunweiß-rot gesprenkelte Jackett. Sein erstes Monatsgehalt ist schon im voraus weg.
    Hallo Abfall, begrüßen Hemd und Jeans den Neuzugang in der Tüte, komm, wir feiern eine Party. Gemeinsam lynchen sie den Kassenzettel.
    Sig geht zur Galerie zurück. Heidi ist noch da.
    «Lassen Sie mich raten. Vorschuß?»
    Das sagt sie, nachdem sie bei seinem Anblick einen dieser schrillen Papagallo-Pfiffe durch die Zähne gejagt hat.
    «Ich muß ja jetzt repräsentieren», sagt Sig.
    «Da haben Sie recht.» Sie wird morgen Geld mitbringen. Er soll nur vorbeikommen, wann er mag. Sie wird den ganzen Tag da sein.
    Schon im Aufzug hört er, daß Andrea Klavier spielt. Die Pathétique. Er setzt sich bei der Tür auf die Stufen, denn er fürchtet, sie könnte zu spielen aufhören, wenn er in die Wohnung kommt.
    Für sie bedeutet das ja nichts, sie kann jederzeit wieder spielen. Sie braucht diese Art Respekt vor Musik nicht, darf sie vielleicht sogar nicht haben, sonst könnte sie nicht üben. Aber er ist ein Zuhörer. Er muß die Musik nehmen, wenn sie kommt. Ihr Spiel zu beenden würde ihn ähnlich beschämen, wie einen Vogel im Flug zu erschießen.
    Andrea spielt sehr schön. Sehr weich und in einem Tempo, als wolle sie das Stück dehnen, damit sie mehr davon hat. Als Sig eintritt, steht sie am Fenster zum Balkon. Auch sie pfeift frech durch die Zähne beim Anblick seiner Montur.
    «Du mußt sehr verliebt sein», sagt sie und fummelt am Revers des Jacketts. Als wolle sie die Stoffqualität prüfen.
    Sig strahlt: «Du siehst in mir einen Freiburger. Ich komme jetzt öfter.»
    Mit Ausnahme von Urlauben und eineinhalb Jahren Zivildienst in einer Jugendherberge auf Sylt hat Sig sein ganzes Leben in Stuttgart verbracht. Er hat von der Welt nicht viel gesehen. War auch nie scharf drauf. Karin, die am liebsten jede freie Woche, die sich ergab, am Meer verbracht hätte, ließ er meist allein gehen. Ich hab inneren Urlaub genug, sagte er dann immer.
    Nicht daß er ausgerechnet Stuttgart sehr schön gefunden hätte. Er dachte einfach, ein anderer Ort mache nichts besser. Auch fand er, daß er die Gegend noch nicht leer gesehen habe, was allerdings kein Wunder war, denn für einen Maler ist Sig erstaunlich blind.
    Zwar besteht er praktisch nur aus Augen, alles, was er weiß, hat er gesehen, aber wenn man ihn nach jemandes Haarfarbe fragt, weiß er die nicht. Er schaut und schaut, aber es ist, als flössen die Anblicke einfach durch ihn hindurch, ohne gespeichert zu werden.
    Seit er ernsthaft malt, hat er diese inneren Bilder, die dauernd aus ihm herauswollen, und deshalb fehlt ihm nichts.
    Jetzt allerdings, beim Gedanken, alles in Stuttgart stehen-. und liegenlassen zu können, einfach so wegzugehen und die unsichtbare Nabelschnur mit dem Absatz zu durchtreten, erfaßt ihn eine noch nicht gekannte Erregung. Jetzt schlüpf ich aus dem Mutterleib, denkt er, jetzt komm ich endlich ins Freie.

S ie haben Stavro!» schreit Jorgos Archangelou, als er in den orthodoxen Billardsaal stürmt. «Ich hab erfahren, daß er seit zwei Wochen nicht nach Haus gekommen ist. Sein Zimmer ist durchwühlt, sein Job am Band ist neu besetzt. Die haben ihn gegriffen, die Schweine.»
    Sofort verstummt das Klicken der Kugeln und das Stimmengewirr im Saal. Aus allen Ecken des riesigen Raumes strömen schnauzbärtige Gestalten zusammen. Ungläubigkeit und Entsetzen ist in manch kohleschwarzem Auge zu lesen. Erzähl, sagen sie und bilden einen Ring um Jorgos.
    «Mehr weiß ich auch nicht», sagt der, «er ist eben weg.»
    « CHIA ?»
    Die Frage kommt von Mikis dem Popen, dem der Billardsaal gehört. Eine erschrockene Stille breitet sich aus.
    «Mach mal einer die Tür zu», befiehlt der Pope, «und sagt Voula Bescheid.» Mikis schnippt mit den Fingern, und der Barkeeper ordnet eine schier endlose Reihe von Ouzogläschen, die er, wie am Fließband, zu füllen beginnt. Er fährt mit der gekippten Flasche drüber. Sie stehen so eng, daß kaum was daneben geht. Jeder nimmt sich einen Ouzo von der Theke, und alle sehen zur Tür, in der Voula jetzt erscheint.
    Voula ist eine berückend schöne Frau und alterslos wie alle seit der Abschaffung

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