Einsam, zweisam, dreisam
bloß fast eins geworden.» Sie lacht.
Während Sig sich durch das Frühstück arbeitet, gehen sie die Gäste des Abends durch. Manche von ihnen sind ihm gar nicht aufgefallen. Er hat hauptsächlich die beiden schrecklichen Paare mit ihrem blöden Gequassel und Curd und Yogi bemerkt. Und natürlich Regina.
«Bist richtig verschossen, wie?»
Andrea bietet ihm an, ihre Freundin Agnes über Regina auszufragen, aber er lehnt ab. Er will nicht heimlich sein.
Komisch, denkt Sig, trotz der profanen Tageszeit ist eine angenehm gespannte Atmosphäre zwischen uns. Das muß an der Intimität liegen, die sie seit heute Nacht miteinander teilen. Und an dem heroischen Gefühl, verzichtet zu haben. Sogar ohne einander zu kränken.
Normalerweise kommt Sig sich nach dem Aufstehen für einige Zeit stumpf und fehl am Platz vor. Das dauert manchmal Stunden. Aber diesmal ist es anders. Es scheint, als finge der Tag ausnahmsweise mal direkt mit dem Aufstehen an. Sonst wachsen die Tage immer langsam und stetig an, bis sie endlich abends blühen und nachts Früchte tragen. Er ist ein Nachtmensch. Das Leben kommt ihm morgens vor wie ein verschüttetes Puzzle, das man erst wieder zusammenlegen und in Ordnung bringen muß. Das heißt, er selber kommt sich so vor. Das Leben findet auf dieser Seite der Nacht für ihn noch gar nicht statt.
Normalerweise.
Geht denn jetzt plötzlich, seit er einunddreißig geworden ist, das Leben mitten durch ihn durch? Bisher ging es doch immer so knapp an ihm vorbei, daß nichts ihm besonders wichtig oder bedeutend schien. Es gab doch nichts, was er nicht aus den Augenwinkeln auch bei anderen sehen konnte. Nichts Exklusives.
Doch, eines vielleicht: Das unteilbare Glücksgefühl, der atemlose Schock beim Fertigstellen mancher Bilder. Dieses Gefühl, mit einem winzigen letzten Tupfer ein Bild zu entlassen, das lustvoll zufriedene Starren darauf. Das war vielleicht das einzig Sensationelle in seinem Leben bisher.
Und jetzt reißen auf einmal die gefährlichen Stunts nicht mehr ab, und er scheint sie zu meistern, ohne sich etwas anderes als das Herz zu brechen. Und das will gebrochen sein.
Andrea schlug ihm vor, eine kleine Galerie zu besuchen, an der Curd so etwas wie ein Teilhaber sei. Er habe ihr gestern gesagt, Sig solle sich dort vorstellen.
«Er schien dich zu mögen.»
An der Tür zur Galerie klebt ein Zettel. «Bin um siebzehn Uhr wieder da.» Es ist Viertel nach vier. Sig kann die sperrige Mappe bei einem Hi-Fi Laden nebenan unterstellen und schlendert einfach los.
Das schlimme an Fußgängerzonen sind die vielen Schaufenster. Sig ist eitel, aber nicht aus Stolz, sondern aus Unsicherheit und Zweifeln. Er kann es nicht lassen, sein Spiegelbild zu überprüfen. Und wird immer enttäuscht. Nie strahlt ihm das erhoffte Gewinnergesicht mit den Sportlerschultern entgegen. Was er sieht, sind Schlitzaugen, eine Hakennase und ein Überbiß. Dabei hofft er jedesmal insgeheim, das Schicksal habe ihm nun endlich ein Schwanengefieder übergestreift.
Er kennt sich fast am besten im Halbprofil. Ein Spion, der sich selbst hinterherschnüffelt. Mit nie nachlassendem Argwohn.
Aber auch das hat sich geändert. Heute zeigen ihm die Schaufenster, daß seine Haare etwas zu lang sind und die ewigen Jeans ihn langweilen, aber häßlich findet er sich ausnahmsweise nicht. Eigentlich ganz passabel, denkt er, solche muß es auch geben.
Das könnte am Schaufenster liegen oder auch am Licht, aber eher liegt es daran, daß Regina Hodler existiert. Das ist wahrscheinlicher.
In einem Stehcafé holt er sich einen Cappucino an der Theke und drückt sich in eine der hinteren Ecken. Vom Nebentisch nimmt er eine Zeitung, die offenbar niemand gehört.
Negerküsse auf Limousinen steht da.
Bei einer Veranstaltung der Freiburger Industrie und Handelskammer kam es gestern zu einem kleinen Aufruhr. Laut Polizeibericht machten sich gegen einundzwanzig Uhr fünfzehn vier vermummte Gestalten an den vor der IHK parkenden Dienstwagen dreier Vertreter des BDI zu schaffen. In so kurzer Zeit, daß den herbeieilenden Fahrern ein Eingreifen nicht möglich war, richteten die «Chaoten» eine «unglaubliche Schweinerei», so einer der Geschädigten, an. Sie verklebten Türgriffe, Fenster, Lichter und Auspuff der Limousinen mit Mohrenköpfen und zwickten mit einem Eisenschneider die Sterne von den Kühlerhauben. Wie ein Spuk seien sie wieder verschwunden gewesen, gibt einer der Fahrer, die in der Portiersloge Kaffee tranken, zu Protokoll. Die
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