Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Einsam, zweisam, dreisam

Einsam, zweisam, dreisam

Titel: Einsam, zweisam, dreisam Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
Vom Netzwerk:
dafür.»
    «Katalognummer?»
    «Pfui», sagt sie, «mach’s nicht kaputt.»
    «Entschuldige.»

I ch möchte schwimmen», sagt sie in der Straßenbahn. Er kann sich ja eine Badehose leihen. Oder besser, sie bringt ihm eine mit. Ihr Wohnungsgenosse Marius müßte eigentlich dieselbe Größe haben. Sig soll am Bahnhof auf sie warten.
    «Ich kann doch zu dir mitkommen», sagt er, «dann gehst du mir nicht verloren.»
    «Ich geh dir nicht verloren. Der Tag ist noch lang nicht vorbei.» Sie will nicht, daß er mitkommt. Er soll die Wohnung nicht sehen.
    «Warum?» fragt er.
    «Rückzugsgebiet.»
    «Versteckst du dort was?»
    «Keinen Skilehrer. So was meinst du doch, oder?»
    Genau so was meint er. Ihr Ton hat was Ungeduldiges, als sie sagt: «Ich betrüge niemanden mit dir.»
    Er soll nicht so drängeln.
    Sie schüttelt den Kopf wie über ein ungezogenes Kind, sieht sich schnell nach allen Seiten um und faßt ihm dann fest in den Schritt. Sie drückt einmal kurz, grade so, daß es nicht weh tut, und sagt: «Frag den. Der weiß das besser als du.»
    Sie lacht und schwingt sich aufs Fahrrad. Im Wegfahren dreht sie noch einmal den Kopf zu ihm und ruft: «Geh du mir nicht verloren.
    Sie sieht aus wie vorher auf dem Hochsitz. Nur daß sie jetzt angezogen ist. Der Mantel verbirgt alles. Aber jetzt weiß Sig, wie es unter den Kleidern aussieht. Unauffällig versucht er zwischen seinen Beinen Ordnung zu schaffen. Seit ihrem frechen Griff ist dort wieder geflaggt. Wenn das so weitergeht, denkt er, brauch ich ein Loch in der Tasche.
    Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ist ein kleines Mäuerchen. Dorthin geht er, setzt sich und träumt.
    Des ganzen sonnigen Trubels ungeachtet, sieht er ein einziges Bild vor sich. Fast egal, ob er die Augen öffnet oder schließt. Wenn er sie offen hat, gehen die Leute und fahren die Autos blaß, wie auf einem überbelichteten Film, über das Bild. Hat er sie geschlossen, ist die Erektionsgefahr größer. Das tut weh im Sitzen.
    Ihr an die Brüstung gelehnter Körper mit dem Muster aus Licht und Schatten auf der blaßbraunen Haut, die fast übertrieben schöne Rundung ihres hochgestreckten Hinterns … fast übertrieben schön … Jetzt weiß er’s!
    Es ist ein Bild von Dali!
    Er war mitten in einem Dali-Bild. Er hat es mit einem Bild gemacht. Vielleicht war es gar nicht wirklich? Schon wieder der Traumverdacht. Vielleicht sitzt er schon drei Stunden hier am Bahnhof, und ihm ist wieder mal das nachgemachte mit dem echten Leben durcheinandergeraten? Wär ja nicht das erste Mal. Aber nein, was soll der Quatsch. Er bewegt die Finger in der Hosentasche und zuckt zusammen. Das ist allerdings kein Beweis. Die Erregung wäre dieselbe.
    Er stochert mit den Händen durch alle, Taschen. Jacke, Hose, Hemd. Er sieht sich seine Schuhsohlen an, fährt mit den Fingern durch die Haare. Irgendein Stück Rinde oder ein Blatt, eine Tannennadel oder ein Grashalm müßten doch da sein… Blödsinn. Er braucht keinen Beweis. Keine Krokusblüte in der Jackentasche, um zu glauben, was er weiß. Und doch…?
    Ein junger Mensch im Parka mit einer prall gefüllten wollenen Umhängetasche stupst ihn mit einem Blatt Papier an die Brust. Es ist ein Flugblatt. Sig nimmt es automatisch. Er nimmt immer alles an. Das ist ein Reflex aus der Schul- und Studienzeit. Man ging nicht ohne Flugblatt zum Mittagessen. Vor der Mensa standen immer welche. Radio Dreyeckland sendet weiter steht auf dem Blatt. Er faltet es und steckt es in die Tasche. Ihm könnte man eine Bombe in die Hand drücken. Er würde sie auch zusammenfalten und in die Tasche stecken.
    Er versucht auf den Titel des Bildes zu kommen. Es war irgendwas mit «sodomisieren». Dali-Bilder haben immer irgendwas mit «kritisch-paranoid» oder «sodomisieren» zu tun. Auf dem Bild lehnt eine üppige junge Frau über eine Balkonbrüstung und schaut in die unendlich weite Landschaft vor ihr. Ein hinter ihr schwebender Kegel zielt mit der Spitze direkt auf ihren Schoß. Sehr obszön. Woher hat Dali das gewußt?
    Sig muß lächeln.
    Warum läßt ihn Regina nicht mit zu sich nach Hause kommen? Ach, ist ja eigentlich egal. Noch kein Mensch hat ihm solches Glück gezeigt und solche Lust bereitet. Da kann er ihr doch diese Macke, wenn es eine ist, zugestehen. Noch nicht mal seine eigenen Träume, die er sich zur Entschädigung für die kalorienarme Wirklichkeit manchmal gestattet, hatten je annähernd einen solchen Sensationsgrad besessen wie der heutige Nachmittag. Soll sie

Weitere Kostenlose Bücher