Einsam, zweisam, dreisam
Immer hat er Angst. Warum findet er sich alle paar Augenblicke in irgendeinem Zugzwang wieder? Was gibt es denn dauernd nachzuprüfen? Mach es doch mal wie sie, denkt er, sei da, wo du bist, und rätsle nicht immer an der Wirklichkeit rum.
«Ich spür’ dich noch», sagt sie.
Bevor er noch merken kann, daß er glücklich ist über diesen Satz; bevor er noch merken kann, daß sie damit die Haarrisse in seiner Seele geklebt hat, hört er sich schon antworten: «Mich, oder dich, oder uns?»
«Ich glaube, manchmal bist du blöd. Wo ist der Unterschied?» Und nach einer Weile: «Du hattest vier Hände. Hast du das nicht gemerkt, du Erbsenzähler?»
«Entschuldige», sagt Sig, «ich bin blöd.»
«Stimmt.»
Sie gibt ihm einen Klaps auf den Hinterkopf, der ihn vorsichtig lächeln läßt, und hakt sich bei ihm unter.
«Übrigens, was war das, was du vorhin versteckt hast? Ein Henkel war’s nicht. Ich erkenne einen, wenn ich ihn sehe.»
«Nun, wie du sicher schon ahnst …» räuspert Sig sich lehrerhaft, «… es war das männliche Glied in seiner begehrlichen Erscheinungsform.»
«Ach, du Knallkopf. Ich will immer noch wissen, wie du es nennst.»
«Gar nicht, ich muß es ja nicht rufen. Es ist mir noch nie weggelaufen.»
«Hast du denn keine Bezeichnung dafür?»
«Keine, die mir gefällt.»
«Dann nenn es ‹Ding›.»
«He, Ding!» ruft Sig an sich hinunter, «wie läuft’s da unten, alles klar? Kannste mal ein bißchen mehr zur Mitte rutschen, der Hausschlüssel will auch was vom Leben haben.»
Regina lacht.
Sie lacht so schön. Nicht wie so viele, die man im Verdacht hat, das eigene Lachen geübt zu haben, bis es gut genug klingt. Nein, sie lacht frei und laut, und er fühlt sich belohnt.
«Und wie heißt deins?»
«Oh», sagt sie leichthin, «da geht’s mir wie dir. ich hab auch keine Bezeichnung dafür. Alles, was ich kenne, ist falsch.»
«Was denn zum Beispiel?»
«Zum Beispiel Vagina. Vagina tut weh, und gleich kommt der Doktor mit seinem Gummifinger. Scheußlich.»
«Und weiter?»
Sie zieht die Augenbrauen hoch und macht ein strenges Gesicht: «Du willst unbedingt die Worte von mir hören?»
«Ja», lacht Sig.
«Also gut, der Reihe nach: Vulva ist groß und rot und will dich verschlingen. Das will meines nicht. Yoni ist indisch, und meines spricht deutsch. Ritze hat zu scharfe Kanten, … laß mich nachdenken, … ach ja, Schlitz wäre nett, aber ich will nicht haben, was jeder Zigarettenautomat hat und schon gar nicht zum Geldeinwurf, und jetzt kommt’s, darauf hast du gewartet, bist du angeschnallt? Achtung, fertig los, V otze riecht mir zu streng. Außerdem ist es lautmalerisch eine Denunziation.»
Sie lacht ihn an. Das Wort «Votze» hat sie richtig laut herausgeschrien. Zum Glück sind sie mitten im Wald und weit und breit kein Spaziergänger. Er traut ihr zu, das auch mitten in der Stadt auf einer belebten Straße zu schreien. Er traut ihr alles zu.
«Na, wie war’s?» lacht sie. «Hat es deinen Vorstellungen entsprochen, oder fehlt noch was?»
Er fürchtet, rot geworden zu sein. Hoffentlich hat sie’s nicht gemerkt.
«Mensch, kannst du reden», sagt er.
«Da haben sich ja zwei gefunden.»
«Gefunden», sagt er nachdenklich, «ich liebe dich.»
«Das könnte stimmen.»
Sie hält an, um ihn tief und naß zu küssen.
Die ersten Anblicke von Günterstal blitzen durch die Bäume. Ein Kirchturm, ein paar Dächer, eine Villa. Sig fühlt sich zappelig. Er genießt den frivolen Moment.
«Wie heißt das, was wir getan haben?»
Sie lacht ihn wieder an: «Ach je, du willst noch mehr davon? Bist du vielleicht ein bißchen pervers? Verbalsex, oder so?»
«Vielleicht.»
«Also Ficken heißt es nicht, das steht mal fest. Den Ausdruck mag ich nicht.»
«Vögeln?»
«Quatsch! Amiroman.»
«Es treiben?»
«Auch nicht genehmigt, Verlegenheitslösung.»
«Bumsen?»
«Untersteh dich. Ganz peinlich. Sag das nie in meiner Gegenwart. Überhaupt kannst du mir die Seemannsausdrücke, die dir jetzt noch auf der Zunge liegen, ersparen.»
«Aber wie nennen wir es dann?»
Sie lacht und äfft ihn nach: «Es läuft uns ja nicht weg. Wir müssen es doch nicht rufen.»
«Doch», sagt Sig, auf einmal traurig geworden, «ich werde es rufen müssen. Mir läuft es sicher weg.»
An seiner Stimme hört sie, daß sich etwas geändert hat, und streichelt seinen Arm: «Dann ruf ‹Hallo, es›. Wir haben es getan. Wir wissen, was gemeint ist. Wir brauchen keine Katalognummer
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