Einsam, zweisam, dreisam
ruhig seltsam sein mit ihrer Wohnung.
Hoffentlich kommt sie bald.
Komisch, sie hat ihn nicht gefragt, ob er überhaupt Lust hat, schwimmen zu gehen. Verläßt sie sich so darauf, daß ihre Ideen die besten sind? Gibt sie immer die Befehle? Sie sagte einfach «Ich möchte schwimmen», und schon war es beschlossene Sache. Na, egal. Er will ja schwimmen. Bis jetzt hat er noch alles, was sie vorschlug, gewollt. Es kam ja sogar mehr dabei heraus, als er zu wollen gewagt hätte.
Wo bleibt sie bloß?
Das Bild heißt «Sich selbst sodomisierende Unschuld» oder so ähnlich. Na, von Unschuld kann wohl kaum die Rede sein. Er könnte vor Glück zu Pulver zerfallen. Es fühlt sich an, als sei ihm bei voller Klarsicht schwindlig. Der Freiburger Hauptbahnhof und die Leute, die hier auf und ab und hin und her wuseln, kommen ihm vor wie die frisch gewaschenen Michelangelo-Fresken in der Sixtina: Überraschend bunt und knallig.
Er hat ihr noch nicht mal gesagt, daß er hierbleiben will. Vielleicht ist sie von der Idee auch gar nicht so begeistert? Vielleicht hat sie der Affäre schon eine Deadline gesetzt? Hat sie irgendwen, der übermorgen aus dem Urlaub oder von der Bundeswehr zurückkommt? Eine Horrorvorstellung. Nicht dran denken.
Er steht auf und geht in die Bahnhofshalle. Nachdem er ein Fünfmarkstück in einen dieser freihängenden Telefonapparate geworfen hat, wählt er die Nummer seiner Mutter: «Mama, kannst du mir meine Koffer schicken? Mit Bahnexpreß… ja, bahnlagernd, ich hol sie hier ab. Freiburg Hauptbahnhof. Die Staffelei, den Koffer mit dem Malzeug und den mit den Kleidern. Nimm den Wintermantel raus, bitte …»
Wie immer ist seine Mutter neugieriger, als er verträgt, fragt, ob Karin auch da sei und was er überhaupt in Freiburg mache. Er hat sie offenbar schon lang nicht mehr besucht.
«Mit Karin ist es aus.»
Nun muß er sie hindern, ihn zu bedauern. Er braucht kein Mitleid. Ganz im Gegenteil. Aber er kommt kaum dazu, ein paar Worte in ihren mütterlichen Wortschwall einzuschießen. Keine Chance. Sie fragt noch nicht mal, wer wen verlassen hat. Sie bedauert ihn lieber gleich. Wie immer geht sie davon aus, daß ihrem Siggilein, der doch sowieso ein weltfremder Künstler ist, Unrecht getan wurde, und läßt sich über Karins «Fehler» aus.
Eigentlich ist sie ja süß, denkt er resigniert, während er hoffnungsvoll das Schrumpfen des Geldbetrags im Telefonautomaten mitverfolgt. Sie hält eben zu ihm, egal was ist. Bei jedem gemalten Bild in irgendeiner Zeitschrift entrüstet sie sich, daß ihr Siggi, der das doch viel besser kann, nicht da steht. Immer sieht sie ihn irgendwo übervorteilt. Er hatte schon oft Mühe, ihr zu erklären, daß nicht jedes zeitgenössische Bild, das ein anderer gemalt hat, pure Scharlatanerie sein muß. Meist ist er zufrieden, wenn er es schafft, sie zum Schweigen zu bringen, denn sie macht ihn bei solchen Ausfällen zum Komplizen ihrer spießigen Ansichten darüber, was Kunst sei und was nicht. Sie hält die Welt für schlecht beraten, ihren Siggi nicht auf den Schild des Ruhmes zu heben.
Er sieht Regina in die Halle kommen und sich suchend umblicken.
«Mama, Geld ist aus. Ich hab keine Münzen mehr. Freiburg bahnlagernd ohne Wintermantel. Mach’s gut, ich meld mich wieder.»
Er ruft Regina, die schon wieder nach draußen gehen will. Sie schaut her, und er winkt mit beiden Armen. Als er neben ihr steht, berührt er ihren Arm mit der Außenfläche seiner Hand und sagt: «Hab dich schon vermißt.»
Sie lächelt: «Komm.»
Eingehakt wie ein Schülerliebespaar gehen sie durch ein paar Straßen, über ein leeres Baugrundstück und stehen dann vor einem gläsernen Bau, den Regina «Voilà le Faulerbad» mit der ausholenden Geste eines fürs Erinnerungsfoto posierenden Fremdenführers vorstellt. Es ist kurz vor vier. Auf dem Parkplatz stehen nur wenige Autos, Mopeds und Fahrräder.
Drinnen zieht Regina zwei weiße Kärtchen aus einem Päckchen in der Tasche, schiebt eines davon in den Einlaßautomaten und reicht ihm das zweite über die mechanische Barriere.
«Oh look», sagt Sig, «it’s a Schlitz.»
«Ach komm, hör auf», lacht Regina, «zitier mich nicht, sonst wähl ich meine Worte.»
Er ist drin.
«Als ob du das nicht sowieso machst.»
Unten an der Treppe trennen sich ihre Wege. Männer müssen nach links, Frauen nach rechts. Sie schubst ihn nach links, daß er fast stolpert.
«Aber hast du gesehen?» sagt sie im Weggehen, «Da ist ein Unterschied.»
Sie meint
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