Einsam, zweisam, dreisam
Punkte markieren ein Bild als verkauft. Dieser wird sicher nach der Vernissage wieder abgenommen, denn es ist gängige Praxis, mit einem Scheinkauf das Interesse anzukurbeln.
Niemand will der erste sein.
Wenn schon ein roter Punkt klebt, dann müssen die Bilder so gut sein, daß jemand sie kauft. Dann kann man ja selbst auch eines kaufen.
Prompt hat Sig in den nächsten fünf Minuten fünf Adressen aufzuschreiben und fünf rote Punkte zu kleben. Die Galerie hat eine Monatsmiete verdient. Noch zwei Bilder, dann ist auch Sigs Gehalt gesichert.
Der Gedanke, er könnte sich vielleicht bezahlt machen, läßt Sig noch mal die Weinflaschen zur Hand nehmen und eine Runde bei den Anwesenden machen. Dabei gerät er auch an Breinling-Beckenrath, der mit sonorer Stimme mitten in Türkis-Streifen-Rennys verzücktes Gesicht hineincharmiert.
«Ist schon eine wahn sinnige Anstrengung», hört Sig ihn sagen.
«So intensiv irgendwie», sagt das Neon-Stinktier.
Sig hat das Gefühl, er sollte lieber die Ohren einklappen. Aber jetzt sind sie schon auf Aufnahme gestellt. Er hört den Amerikaner sagen: «Arts are allright, but shouldn’t we be going to have somethin’ to eat?»
«Not that bad an idea», sagt die schöne Frau in gewähltestem Snob-Englisch.
Keine Ami-Frau, denkt Sig. Als er die Flaschen zurückstellt, kommt sie, den Mantel überm Arm, an ihm vorbei und ist offenbar gehend etwas zu essen zu haben mit dem soignierten Herrn.
Tschüs, Fanny Ardant, tschüs, Cary Grant, denkt er, denn ihm ist eingefallen, an wen sie ihn erinnert hat. Die Galerie leert sich.
Gesine Moll schüttelt seine Hand nach Anthroposophenart horizontal statt vertikal. Andrea und ihr Mann laden ihn ein, bei ihnen zu übernachten, aber er lehnt ab. Hannes und Renny verabschieden sich von Heidi und ignorieren ihn. Gut so, denkt er, straft mich mit Verachtung. Heidi, die Arbeiterin unter den Galeriebesitzern, fängt an aufzuräumen, und Breinling-Beckenrath steht unschlüssig in der Melancholie des verblassenden Glanzes herum.
«Ich mach das schon», sagt Sig. «Geht ihr doch was essen oder so.»
Dafür bekommt er einen dankbaren Blick von Heidi, die sicher genau das vorhat. Wobei der Schwerpunkt durchaus auf dem «oder so» liegen könnte. Schwupp sind die beiden weg.
Er öffnet Fenster und Tür, um den Qualm-, Alkohol- und Mantelgeruch rauszulassen. Den Inhalt der angebrochenen Flaschen leert er ins Klo und packt sie in einen Karton. Dann die Aschenbecher. Alles, was ungemütlich riecht, stellt er in den vorderen Raum.
Wenn man es nicht doch irgendwie für sich selbst täte, könnte man die Malerei nach so einem Abend mal wieder aufgeben, denkt er. Diese Leute brauchen keine Bilder, denen reicht auch eine Tapete. Wenn sie teuer war. Die hängen sich ein Bild an die Wand, weil die andern auch eins haben oder weil der Spiegel nichts Sympathisches zu zeigen hat.
Er hat selten Menschen getroffen, deren Umgang mit Kunst ihm gefiel. Die meisten sind aus falschem Respekt verlegen und ängstlich vor Blamagen. Oder sie spielen das große Ich-bin-ja-so-begeistert-und-weiß-ja-so-Bescheid-Theater.
Er sieht sich in der Ausstellung um. Er jedenfalls wäre gleich wieder gegangen. Diese bieder-doofen Landschäftchen sind so sprachlos, wunschlos und blicklos auf teures Aquarellpapier gehübscht, daß man nur hoffen kann, Hannes und Renny hätten auch eines gekauft. Aber dazu hätte noch eine verfallene Hütte drauf sein müssen, damit es irgendwie sozialkritisch genug ist.
Das schöne Bild hat keinen Punkt.
Gut so, denkt Sig, hat er ein Juwel für seinen Nachlaß. Er setzt sich den Kopfhörer auf und hakt den Walkman im Gürtel ein. Pekka Pohjola, die schwarzen Seen.
F rom Illinois just on a trip», sagt Voula zu dem Amerikaner. Sie hat sich beim Gehen bei ihm untergehakt. Er wisse ein quite o. k. Restaurant, hat er gesagt, als sie kategorisch «no Taxi» bellte. An vorderster Stelle des Taxistandes, auf den er zusteuerte, sah sie nämlich den Koteletten-Hero mit dem abben Stern stehen.
Sie stellt schnell fest, daß ihre Vorahnung, er würde sie in sein Hotel schleppen, nicht getrogen hat. Er geht mit zielbewußtem Schritt. Sein Rasierwasser riecht gut. Aus den Augenwinkeln betrachtet sie wohlwollend das teure Schlabbern seiner Hosenbeine.
Sie habe aber keinen ausgesprochenen Illinois-Akzent.
Achtung!
Das komme daher, daß ihre Eltern aus Zypern kämen und sie in England zur Schule gegangen sei. Später habe sie zwölf Jahre in Boston gelebt, was
Weitere Kostenlose Bücher