Einsam, zweisam, dreisam
ersten Gäste sind schon dabei, sich, zwei Finger fachmännisch ans Kinn gelegt, vor den Bildern zu postieren. Der Künstler hat sich in ein kopfnickendeinvernehmliches Gespräch mit Doktor Wimmer gestürzt. Wohl um nicht mit ansehen zu müssen, wie die Leute von Bild zu Bild gehen, ohne verzückt, den Schaum der Erkenntnis vor dem Munde, zusammenzubrechen. Das kann Sig nun wieder verstehen. So hat er sich bei Ausstellungen auch gefühlt.
Ein kurzer Blick in die Runde sagt ihm, daß schon jeder was zu trinken in der Hand hat. Er gesellt sich zu Yogi und Curd, die sich in eine Ecke zurückgezogen haben. Wie demonstrativ stehen sie beide mit dem Rücken zu einem Bild.
«Habt ihr Augen im Genick?»
«Das kann auch mal von Nachteil sein», sagt Curd in dem väterlichen Tonfall, den er offenbar, wenn Yogi da ist, anzuschlagen pflegt.
Yogi zieht nur die Brauen hoch.
«Eine schöne Rede», versucht Sig das Gespräch bei der Kunst zu halten.
«Doch», sagt Yogi und «Wer’s mag», sagt Curd. Als die beiden anfangen, über ein privates Thema weiterzuwitzeln, geht Sig weiter.
Eigentlich ein Armutszeugnis, denkt er. Zum erstenmal bin ich auf der anderen Seite, und schon benehme ich mich so ignorant und schülerhaft wie die Leute, die ich auf meinen Vernissagen am liebsten auf den Mond geschossen hätte. Aber gleich denkt er auch, wenn er mich doch nur auf den Mond schösse. Das wäre der bessere Platz.
Eine Rotweinflasche in der einen und eine Weißweinflasche in der andern Hand, macht er eine Runde, um Gästen, die schon ausgetrunken haben, nachzuschenken. Dafür erntet er einen anerkennenden Blick von Heidi, die damit beschäftigt ist, Breinling-Beckenrath zu umschwärmen. Nachdem Sig die Flaschen zurückgestellt hat, postiert er sich auf der Treppe und genießt den freien Überblick.
Die wunderschöne Frau im Leinenkostüm steht vor dem einzigen Bild, das auch ihm gefällt. Dem mit den kleinen frohen Funken. Es stellt, hat Sig heute nachmittag gelesen, eine Landschaft nahe der türkischen Grenze dar. Was man sieht, ist ein von roten Spritzern und Vogelfedern durchzogener Nebel, der sich etwas links von der Bildmitte zu einem Bergrücken formt. Geschmack hat sie auch noch, denkt er und sucht mit den Augen nach dem amerikanischen Herrn.
Der steht nahe der Tür und blickt seinerseits etwas angewidert auf Hannes, der schon wieder roten Gesichts und mit ausladender Gestik von Irland erzählt. Immerhin steht er diesmal vor einer Serie von fünf Bildern, die tatsächlich irische Landschaften darstellen. Sicher war er so schlau, vorher die Bildunterschriften zu lesen.
Dem Blick des Amerikaners folgend, sieht Sig, daß einer der Gäste einen Gitarrenkasten öffnet und das Instrument herausnimmt. Aus dem oberen Raum kommt ein zweiter, in der einen Hand eine Geige, in der andern eine Flöte. Die Flöte überreicht er Hannes und sorgt mit ein paar von Alkohol und Amnesie handelnden Scherzworten für erwartungsvolle Stille. Um die Musiker bildet sich ein kleiner Halbkreis.
Der Gitarrist biegt den Kopf zum Gitarrenhals und dreht, pling, pling, an den Stimmknöpfen. Hannes fiepst ein paar Töne, um die Unstimmbarkeit seines Instrumentes zu kompensieren. Der Geiger hat wohl schon gestimmt, denn er spendiert dem Gitarristen großzügig ein A.
Der Gitarrist sagt: «Komisch, als ich sie gekauft habe, hat sie gestimmt» und dann geht’s los: «Seven drunken nights», «Whiskey in the jar», «Me and the devil in the bottle», «John Barleycorn must die» und zum Schluß, als die Gespräche schon längst wieder die Musik übertönen, «Wild rover». Da klatschen alle noch mal richtig mit, um dann gleich in Applaus überzugehen.
Im Auge des Amerikaners schimmert es feucht. Er scheint seine Meinung über Hannes geändert zu haben, denn er schüttelt den Musikern die Hände und sagt: «Das wowr abowr ser schoun.» Dann holt er eigenhändig drei Bier aus dem Nebenraum.
«Für mich auch drei», sagt der Gitarrist, aber nur noch zwei Leute lachen ein bißchen.
Curd und Yogi sind verschwunden. Andrea redet mit dem Neon-Stinktier. Es scheint, als bewundere sie die Frisur. Vielleicht tut sie auch nur so. Die Schöne in Grau bringt ihrerseits dem Amerikaner einen Drink, und Heidi verabschiedet die ersten Gäste mit bedauernd höflicher Miene.
Doktor Wimmer ist schon weg, hat sicher noch einen Termin.
Gesine Moll legt Sig eine gesittet flüchtige Hand auf die Schulter und bittet ihn, einen roten Punkt an eines der Bilder zu kleben. Rote
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