Einsam, zweisam, dreisam
patschnaß. Gegen Ende der Aktion mußte er sich zwischen sieben Wasserstrahlen durchwinden. Zwei Koffer, fünfzehn Aquarelle und vier Grafikmappen stehen nun an die Wand des Nebenhauses gelehnt auf dem Bürgersteig. Und ein junger Mann in Unterhosen zieht sich aus einem Koffer an.
Kein Wunder, daß der Polizeimeister glaubt, einen Blumentopf gewinnen zu können, wenn er ernstfallmäßig, die Walther im Anschlag, hinter der Wagentür vorbellt: «Polizei! Stehenbleiben! Hände hoch!»
Erstaunt zwinkert Sig in das grelle Licht des Scheinwerfers, den ihm der zweite Polizist direkt ins Gesicht hält. Er läßt die Hose, die er eben anzuziehen im Begriff war, wieder von den Knien rutschen und streckt brav die Hände in die Luft.
«Was ist da los?» kläfft der mit der Pistole.
Sig ist wütend. «Jemand badet zweistöckig oder so.»
«Was?»
Der Polizist hatte sogar noch Lautstärkereserven. Hätte Sig nicht gedacht. Der war schon eben so laut. Vielleicht will er noch ein paar schlaftrunkene Nachbarn mehr als Publikum für seinen astrein ernstfallmäßigen Profi-Auftritt. Leider hat er Pech damit. Die drei bis jetzt erleuchteten Fenster sind alles, was diese Straße an Bewohnerdichte noch zu bieten hat. Der Rest ist Büro, Laden, Praxis oder Boutique. Hier wohnt nur, wer zu alt oder zu arm zum Fliehen ist.
Die Angst, die Sig eben noch empfand, weicht jetzt vollends der Wut. Jetzt reicht’s dann. Hat der Idiot denn keine Augen im Kopf?
«Mann, schauen Sie halt hin , bevor Sie sich lächerlich machen!» schreit er. Es ist nicht gerade seine Ausgehunterhose, in der er hier vor versammeltem Publikum herumsteht. «Rufen Sie die Feuerwehr oder saugen Sie den Laden selber aus. Der schwimmt jetzt dann nämlich gleich weg.»
Das Geschrei kommt zu spät, denn mittlerweile hat sich der Profi auch orientiert, und während er noch darüber nachdenkt, ob er die Pistole so unabgefeuert wieder runternehmen soll, hat sein Kollege schon über Funk die Zentrale informiert.
«Schöne Bescherung», sagt der Profi, und es ist durchaus unklar, ob er damit die Tatsache meint, daß der schöne Einsatz auf solch unspektakuläres Maß schrumpft oder die unter Wasser stehende Galerie.
Sig darf sich anziehen.
«Licht aus», sagt er und holt sich trockene Unterwäsche aus dem Koffer. Als er die Schuhbänder knüpft, sieht er auf die Uhr. Viertel vor sechs. Er hat außer den beiden unrettbaren und seinen eigenen Bildern tatsächlich alles heil herausgeschafft.
Fünf vor sechs bringt eine alte Frau auf einem Tablett Kaffee für die Beamten. Sig bekommt auch eine Tasse. Die Feuerwehr biegt mit Lalü um die Ecke, und die Galerie steht bis zur Türschwelle unter Wasser. Der erste Bach bahnt sich seinen Weg zum Rinnstein.
Viertel nach sechs ist das Wasser im ganzen Haus abgestellt, eine Wohnungs- und eine Bürotür aufgebrochen, ein parkender Mazda von einem rangierenden Feuerwehrlaster schwer beschädigt, sämtliche geretteten Bilder von Breinling-Beckenrath durch einen Schlauch und mehrere Stiefel dem Erdboden gleichgemacht und einer von Sigs Koffern von einem marodierenden Hund bepinkelt worden.
Zwanzig nach sechs dämmert der Tag.
Zweiundzwanzig nach sechs kommen die dritte Kanne Kaffee, Gesine Moll und ein Journalist von der Badischen Zeitung, dem sie beide ein Interview geben. Breinling-Beckenrath kriegt doppelte Presse.
Fünfundzwanzig nach sechs ist die Galerie leergepumpt, sind die Wasserstrahlen aus der Decke versiegt und macht, sich ein Bautrupp der Freiburger Energie- und Wasserwerke an die Arbeit.
Eine Minute vor halb sieben tippt Regina von hinten auf Sigs Schulter. Sie hat mit zwei Blicken gesehen, daß seine Wohnung und sein Job fürs erste storniert sein müssen. Angesichts der mageren und etwas verfroren wirkenden Gestalt, die sie zwischen all den geschäftig umherwerkenden Leuten rührte, stornierte sie ihr eigenes Bedürfnis, ihn eine Weile nicht sehen zu wollen, ebenfalls.
Er dreht sich um und sieht sie mit einem Gemisch aus Unglauben und Freude an.
«Klein Armaggeddon», sagt er.
«Tu nicht so gebildet», sagt sie.
«Ich weiß grad nichts Besseres», sagt er.
«Aber ich», sagt sie.
Er zieht die Augenbrauen hoch und schlingt seine Arme um die Schultern. «Was?»
«Nach England fahren.»
Sie geht zu seinen Koffern und nimmt sie hoch. Einen gibt sie ihm in die Hand und sagt: «Komm.»
Sie geht zur nächsten Querstraße, wo Marius’ Daimler mit laufendem Motor steht. Sie wirft zuerst das Paket mit den
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