Einsame Herzen
mit Grauen von der Anrichte zurück. Beim Anblick des toten Tiers wich ihr alles Blut aus dem Gesicht. Entsetzt presste sie eine Hand vor den Mund, starrte aus grossen, ungläubigen Augen auf das Wild in ihrer Küche.
Louise stürmte herbei, völlig aufgelöst. "Was ist passiert? Was ist mit dem Reh los? Wo hast du es gefunden? Es ist doch nicht... Es lebt doch noch, oder?"
Emma folgte ihrer Schwester zögerlicher. In ihrem Gesicht spiegelte sich der Ausdruck des Schocks wider, der in Louise Zügen lag. Tränen funkelten in Emmas Augen, als sie auf das Reh starrte. "Mama?", flüsterte sie fassungslos, flüchtete sich zu Danielle und umklammerte hilfesuchend ihre Hand.
Die Blicke der drei weiblichen Wesen im Raum waren allesamt starr auf das Reh gerichtet, das mit Trauer und Entsetzen gemustert wurde. Niemand sprach ein Wort. Tiefes Schweigen legte sich über die Küche.
Darko schüttelte nur den Kopf, liess seinen Blick ungläubig zwischen der Mutter und ihren Töchtern hin- und herwandern. Er musterte sie, als kämen sie von einem anderen Planeten.
Schliesslich zerriss ein derber Fluch aus Darkos Mund die Stille. Darkos Fluch riss die Mädchen aus ihrer Erstarrung. Emma zuckte erschrocken zusammen, Louise blinzelte und hackte nach: "Mama? Was ist mit dem Reh?"
Danielle holte tief Luft. In diesem Augenblick verwünschte sie die Berge, den Schnee und ihr Haus am Feuerberg. Beinahe wünschte sie, sie hätte das Haus in der Wildnis nie geerbt.
"Das Reh lebt nicht mehr, Louise", erklärte Danielle sanft.
"Wieso hat er es dann ins Haus gebracht? Sollten wir es nicht begraben?"
Danielle konnte den Kindern, die noch nie Fleisch angerührt hatten, unmöglich in Gegenwart des toten Tieres erklären, dass sie das Reh essen würden.
"Wir reden später darüber. Emma und Louise, ihr geht jetzt beide auf euer Zimmer."
Als sich ihre Töchter nicht rührten, fügte Danielle ein harsches "sofort" hinzu. Endlich kam Bewegung in die beiden.
"Frauen", knurrte Darko, als Emma und Louise die Küche verlassen hatten. Er gab ein abschätziges Schnalzen von sich, drehte Danielle den Rücken zu und polterte in den Korridor.
"Warten Sie!"
Danielle stürzte Darko eilig hinterher.
An der Haustür angekommen, drehte Darko sich schwerfällig zu ihr um. "Keine Sorge, Mäuschen. Du muss mich nicht sofort bezahlen", säuselte er.
Danielle sah Darko an, dass er genau wusste, dass sie ihn nicht zurückgerufen hatte, um ihre Schulden zu begleichen. Sie war jedoch viel zu aufgeregt, um auf seinen Sarkasmus einzugehen.
"Was mache ich denn jetzt? Was soll ich mit dem Reh tun?", sprudelte sie nervös.
Darko legte den Kopf schräg und warf ihr einen Blick zu, der besagte: Jetzt verarschst du mich, oder?
Danielle blinzelte und fuhr sich aufgeregt mit der Zunge über die Lippen.
"Ich weiss wirklich nicht...Ich kann nicht... Ich habe noch nie in meinem Leben Fleisch gegessen", haspelte Danielle verzweifelt zu ihrer Verteidigung.
Darko verspannte sich augenblicklich. "Was? Was sagst du da? Das ist doch nicht..." Er stiess einen tiefen, undefinierbaren Laut aus. "Warum hast du mich dann angefleht, für dich Wild zu erlegen?"
"Ich habe dich nicht angefleht", widersprach Danielle, nicht bewusst, dass sie Darko gerade zum ersten Mal geduzt hatte.
"Nicht angefleht? Du wärst sogar vor mir auf die Knie gefallen, wenn ich es verlangt hätte!"
"Das ist doch Blödsinn!"
Darko ging gar nicht auf ihren Widerspruch ein. "Ich liefere dir das Reh und was muss ich hören? Dass du kein Fleisch isst? Was hat das zu bedeuten? Was geht hier eigentlich vor sich, hm?"
Darkos Gesicht verzog sich zu einer ärgerlichen Maske. Danielle versuchte ihn aufzuhalten, als er in Richtung Küche zurückmarschierte, doch er schob sie beiseite wie ein lästiges Insekt. Nicht sicher, was er im Sinn hatte, doch im Wissen, dass es nichts Gutes sein konnte, folgte Danielle Darko in die Küche. Ein entsetztes Wimmern entfuhr ihr. Darko durchwühlte den ganzen Raum, zog eine Schranktür nach der anderen auf.
"He! Nicht! Was tun Sie da?", rief Danielle spitz aus, in das distanzierte "Sie" zurückfallend.
Danielle rannte zu ihm, packte seinen Arm und versuchte, ihn aus ihrer Küche zu zerren. Er schüttelte sie ab wie ein aufdringliches Kind und fuhr mit seinem Wüten fort, als besässe er einen Dursuchungsbefehl. Darko durchstöberte jede Schublade, öffnete alles, was sich öffnen liess, warf sogar einen Blick in den Backofen. Als er alles kontrolliert hatte, ohne zu finden, wonach er suchte, baute er
Weitere Kostenlose Bücher