Einsame Spur (German Edition)
fantastisch, dass ich gar nicht erwarten kann, alle Seiten von dir kennenzulernen.« Das hatte Martin im ersten Jahr ihrer Beziehung gesagt.
Ihr Lächeln verschwand, wurde zu tiefer Trauer. Selbst der Anblick »ihres« kleinen, geheimen Wasserfalls konnte ihre Stimmung nicht heben. Sie dachte an die Frau, die sie gewesen war, bereit für eine neue Lebensphase mit einem Mann, der an ihrer Seite sein würde, während sie gemeinsam wachsen und sich entwickeln würden. Und zum ersten Mal seit ihrer Trennung vertrieb Trauer die Wut über die gescheiterte Beziehung.
Der Martin, den sie gekannt hatte, war nicht der spröde, beinahe hochnäsige Mann, der er so oft in Gegenwart von Fremden gewesen war, weil er sich in Gesellschaft nicht recht wohl fühlte. Mit ihr zusammen konnte er ganz reizend sein, hatte einen schrägen Sinn für Humor und schaute sie an, als wäre sie die reizvollste Frau auf diesem Planeten. Und nicht nur das, er hatte ihre Erfolge gefeiert wie sie die seinen.
Sie hatte ihn in ein hippes Restaurant eingeladen, als er seinen Doktor gemacht hatte, und er hatte, obwohl er der Küche sonst fernblieb, eine Schürze angezogen und ihr einen Kuchen gebacken, als sie ein besonders scheußliches Trainingsprogramm abgeschlossen hatte. Der Kuchen war in der Mitte zusammengefallen und an den Rändern zu wenig gebacken, aber er war wundervoll gewesen. Sie hatten gekichert und sich mit billigem Rosésekt betrunken und so viel Kuchen gegessen, dass sie sich geschworen hatten: niemals wieder.
Das alles hatte sie so lange bewahren wollen, hatte nicht glauben wollen, dass sich etwas so Unschuldiges in solche Feindseligkeit verwandeln konnte. Sie hatte geglaubt, wenn sie nur hart genug kämpfte, würde sie es hinkriegen. So funktionierte ihr Denken nun einmal – selbst als sie herausgefunden hatte, dass Kampfsport ihr nicht lag, sie die Fähigkeiten als Soldatin aber gut gebrauchen konnte, hatte die Jugendliche die Zähne zusammengebissen, bis ihr Körper die Bewegungsabfolgen elegant beherrschte.
Erst als sie vor den Trümmern ihrer Beziehung stand, hatte sie begriffen, dass es keine Rolle gespielt hatte, wie sehr sie kämpfte. Denn irgendwann war Gift in die Beziehung gesickert. Still und leise hatte es sich in die Gefühle gefressen, bis sie fadenscheinig wurden … und die Wölfin in ihr sich zurückgezogen hatte.
Martin hatte das gewusst. Es hatte seinen Groll nur verstärkt.
Ihre Wange wurde feucht. Im Mundwinkel schmeckte sie Salz. Das war die erste Träne, die sie vergoss, seit sie vor über einem Jahr Martin die Tür vor der Nase zugeschlagen hatte mit dem festen Willen, sie ihm nie wieder zu öffnen. So zart wie dieser erste Tropfen war, genügte er doch, um ihre Abwehr zu zerschlagen. Sie fiel auf die Knie und gestattete sich, ihrer Trauer freien Lauf zu lassen, heftig hoben und senkten sich ihre Schultern mit jedem Schluchzer.
Riaz rannte und knurrte ärgerlich, als ihm Adrias Witterung in die Nase stieg, weil dieses Phantom ihn noch immer jagte. Doch als der Duft immer stärker wurde, wurde ihm klar, dass sie nicht zum Wagen zurückgelaufen, sondern ebenso wie er zu Fuß unterwegs war. Er wäre einfach weitergelaufen, wenn ein kaum vernehmbarer Laut nicht die Aufmerksamkeit des Wolfs in ihm erregt hätte. Besorgt näherte er sich weit genug, um festzustellen, ob Adria sich in Schwierigkeiten befand … und hörte, wie eine Frau sich die Seele aus dem Leib weinte.
Sein Beschützerinstinkt regte sich, doch er kam nicht näher. Adria war eine stolze Frau, sie würde nicht gerne so verletzlich gesehen werden. Doch noch während er sich sagte, es sei sicher besser zu gehen, zerriss ihn ihr tiefer Schmerz.
Sobald er in Sichtweite kam, fuhr ihr Kopf hoch; ihr Gesicht war tränenüberströmt. »Verschwinde!«
Was immer es auch war, das ihr so zusetzte, er hätte es gerne erlegt, doch er wusste, dass es nichts war, das man mit körperlichen Kräften schlagen konnte. Er ging neben ihr in die Hocke und nahm sie in die Arme. Erst wehrte sie sich mit spitzen Ellenbogen und geballten Fäusten. »Lass dir doch helfen, verdammt noch mal.« Das war weder sanft noch charmant, aber es kam von Herzen und mit heiserer Stimme, weil es den Wolf erzürnte, nichts tun zu können.
Nach einem weiteren herzzerreißenden Schluchzer wurde sie weich wie Wachs in seinen Armen, als könnte sie nicht gleichzeitig den tiefen Schmerz aushalten und sich gegen ihn wehren. Er zog sie zwischen seine Knie und legte die Arme um sie … und
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